Wabi-Sabi Ästhetik

Alles ist vergänglich – nichts ist fertig – nichts ist perfekt.


Mir kommt es so vor, als sei Wabi-Sabi gerade irgendwie in aller Munde. Zumindest ist mir das Thema bereits in Schöner Wohnen, auf Werbeflyern und in Zeitungen über den Weg gelaufen. Sogar Ikea scheint sich mit Wabi-Sabi auszukennen, immerhin gibt es seit einiger Zeit neben Wabi-Sabi Möbeln auch Wabi-Sabi Teller im Sortiment.

Aber was ist Wabi-Sabi? Kann denn mal jemand kurz und verständlich Wabi-Sabi erklären?

Tja, ich würde sagen – nein. Denn die Sache ist reichlich kompliziert. Selbst – und gerade in Japan – haben viele kluge Köpfe höchsten Respekt davor, ich würde sogar sagen „Demut“, wenn es darum geht, sich diesem jahrhundertealten buddhistischen Begriffspaar anzunähern. „Sehr kompliziert“… „kaum zu verstehen“… „vielleicht ist Wabi-Sabi sogar leichter zu fühlen, als in seiner wahren Tiefe zu verstehen“… Nun bin ich sicherlich die Letzte, die imstande wäre, Ihnen Wabi-Sabi wirklich zu erklären. Ich versuche es daher lediglich mit einer groben Einordnung.

Fakt ist zumindest, dass Wabi-Sabi in die große Schublade Ästhetik in Japan gehört. Eine präzise Definition für Ästhetik in Japan gibt es ja nicht, wie auch schon in der Rubrik Philosophie Schön zu lesen war. Stattdessen greift Japan auf eine Vielzahl an historisch belegten ästhetischen Konzepten zurück und Wabi-Sabi ist eines davon.

Wabi? Sabi? Was ist der Ursprung?

Die heutige Bedeutung von Sabi lässt sich von unterschiedlichen Begriffen herleiten.

sabu – abflauen, verschwinden, susabi – kann unter anderem Verwüstung bedeuten, sabiteru – rostig werde, alt werden, altern

Mit Sabi geht im weitesten Sinne die Assoziation mit etwas Chronologischem einher. Sabi beinhaltet eine zeitliche Komponente, ersichtlich an den Effekten oder Spuren, die „die Zeit“ auf einem Gegenstand oder an einem Material hinterlässt.

Das Adjektiv sabishi bedeutet hingegen Einsam.

Gerade das Wort sabishi wurde bereits durch früheste Literaten geprägt, etwa im 11. Jahrhundert, wo häufig Beschreibungen von trostlosen und einsamen Gefühlen zu lesen waren. Spätere Theoretiker entwickelten hieraus einen gedanklichen Ansatz, der explizit mit Schönheit in Verbindung steht. Bashô besang die Stille der Einsamkeit, aber als ein positives, hochgeschätztes Gefühl. Auch das langsam schwindende, das alternde, wird letztlich mit Größe und Schönheit belegt. Heute wird Sabi als Patina oder Rost der Zeit bezeichnet.

Ästhetisch betrachtet steht Sabi für Altes und für Abgegriffenes mit Patina und Fehlern, aber auch für Reifes. Es ist die Schönheit jener Dinge, die die Spuren der Zeit und des Lebens tragen.

 

Auch Wabi lässt sich begrifflich ableiten. Wabi kommt von vage oder verloren.

Der Begriff wurde häufig gebraucht, um die Konditionen zu beschreiben, in welchen man lebt. Suzuki Daisetz, ein vielzitierter Interpret der Zen-buddhistischen Prinzipien, beschreibt Wabi als Ästhetik der Armut. Aber auch dies ist durch die Koppelung an die buddhistische Zufriedenheit mit dem Wenigen und der Ablösung von Materiellem und Konsum, wohlwollend gemeint.

In Wabi steckt aber auch die Silbe wa. Wa steht für Harmonie, Ruhe und Frieden. Dies bedingt eine wichtige Verknüpfung. Es geht um die innere Befreiung durch die Zufriedenheit mit der kargen Hütte aber auch um die Erkenntnis um deren Schönheit, denn Harmonie und damit Schönheit entspringt der Einfachheit.

Dieses Prinzip wurde schon seit der Kamakura-Zeit (1185-1333) als Ideal beschrieben. Bekannt für das Kultivieren dieses Ideals in der Teezeremonie wurde der Tee-Meister Sen no Rikyû. Er pflegte die Teezeremonie in einfachsten Teehäusern durchzuführen, mit Utensilien und Instrumenten von ebenso schlichter Einfachheit oder „Kunstlosigkeit“.

Anders als bei Sabi geht bei Wabi die Assoziation mit einer Art und Weise oder mit einer Richtung einher.

Ästhetisch betrachtet steht Wabi für das absolut Einfache und Unverfälschte. Es steht für die Schönheit der einfachen und unprätentiösen Dinge, für Schlichtheit und Erhabenheit in ihrer ureigenen Unvollkommenheit.

Und es geht um natürliche, oder zumindest organisch wirkende Dinge und Räume, denn Harmonie geht in Japan im weitesten Sinne mit Natur einher. Tanizaki: Die Qualität, die wir Schönheit nennen, muss immer aus der Realität des Lebens erwachsen. Wer Japan heute kennt, wird natürlich unwillkürlich lachen, denn es ist wirklich erstaunlich, wie viel unglaublich Künstliches es in Japan heute gibt. Mehr dazu in der Rubrik Philosophie Schön.

Um das Ganzen nun auf einen halbwegs einfachen Nenner zu bringen – Wabi-Sabi beschreibt die Schönheit des Einfachen, des natürlich gealterten und der Vergänglichkeit. Wabi-Sabi feiert die Authentizität der Natürlichkeit, der Bescheidenheit und Nüchternheit. Wer Wabi-Sabi sucht, entdeckt die Würde und Eleganz der Unvollkommenheit. Aber nochmals, Wabi-Sabi ist keine Verzichtserklärung. Es geht um ein viel größeres Ansinnen – es geht um Harmonie.

Doch all dies nur am Rande. Vielleicht müssen Sie ja an diesen Artikel denken, wenn Sie das nächste Mal einen brandneuen „Wabi-Sabi“-Teller im Kaufhaus in den Händen halten. Wie immer, am Ende ist alles nur Inspiration.

 

 

 

 

 

Quellen: Axel Vervoordt Inspiration Wabi, Donald Richie A tractate on Japanese aesthetics, Jun’ichirô Tanizaki Lob des Schattens, Leonard Koren Wabi-Sabi. Woher? Wohin? Weiterführende Gedanken

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5 Kommentare

  1. Die gesamte website ist wunderbar geworden.
    Eine gute Einführung in Wabi -Sabi ist das kleine Buch im Wasmuth Verlag
    „Wabi-Sabi für Künstler, Architekten und Designer“ ISBN 3 8030 3064 1

    Eines meiner Wabi Bilder anbei
    Gruss
    LBK

    • Lieber Lutz,

      vielen Dank für deine Rückmeldung und für den tollen Buchtip. Da werde ich sicherlich hineinschauen. Dein Wabi Bild baue ich am besten direkt in einen Artikel ein. Ich gebe dir Bescheid, wann und wo du es finden wirst.

  2. Liebe Evi,
    ich freue mich sehr, dass du deine Begeisterung für japanische Kunst mit uns auf diesem Wege teilst. So lerne ich sicher etwas – besonders das Pairing von Kunst mit Sake finde ich einen spannenden Ansatz. Gourmets kann man sicher so der Kunst näher bringen. Und mich natürlich.
    Und wenn wir schon von Wabi-Sabi und Gourmets sprechen…. hier ein kulinarischer Tipp von mir. Das Wabi Sabi Shibui in der Nähe vom Odeonsplatz.
    Dort lässt sich eventuell auch die ein oder andere Kunst unterbringen….
    Viel Erfolg mit dieser schönen Website. Alles Liebe, Susi

    • Liebe Susi,

      vielen Dank für deinen Comment und vor allen Dingen für deine Restaurantempfehlung. Wenn sich jemand in München mit gutem Essen auskennt, dann Susi! Darauf kann man sich wirklich verlassen.
      So kommt in jedem Fall viel Gutes zusammen: Kunst, ein wenig Sake und gutes Essen.

      Merci!

    • Liebe Susi,

      dann lass uns doch gerne einmal zusammen ins Wabi-Sabi Shibui gehen. Über Wabi-Sabi gibt es hier ja ohnehin einiges zu lesen. Aber ich denke, wir versuchen es zunächst mal mit einem Schälchen Sake. Kanpai.

      Würde mich freuen, wenn du bei Kunst aus Japan hin und wieder vorbei schaust.
      Beste Grüße
      Evi

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