Alles ist vergänglich, nichts ist fertig, nichts ist perfekt. Wabi Sabi wird häufig als „das ästhetische Konzept Japans“ bezeichnet. Doch Wabi Sabi ist mehr als „nur Ästhetik“. Wabi Sabi zu verstehen, bedarf einer inneren Haltung. Sie ist der Schlüssel dazu, in den Dingen Schönheit und Würde zu erkennen, wo andere lediglich Verwitterung, Ergrauen oder Verblasstes sehen. Wer Wabi Sabi erkennt, sieht und fühlt Erhabenheit in ihrer ureigenen Unvollkommenheit.

Wabi Sabi ist damit kein „Prinzip“, das sich nur auf Gegenstände, Bauwerke oder Materielles anwenden lässt. Einfachheit, Natürlichkeit, Vergänglichkeit und vor allen Dingen die damit einhergehenden Emotionen, begegnen uns Tag für Tag, in Bildern, Szenen oder in flüchtigen Momenten. Manchmal ist es nur ein kurzer Augenblick, der das gesamte Spektrum von Wabi Sabi anzusprechen vermag.

Wabi Sabi Dreams

Aber wie steht es mit unseren Träumen, unseren Wünschen und Zielen? Können Wünsche auch Wabi Sabi sein?

Zumindest habe ich mich das gefragt, als mir diese roten Figuren auf einem Flohmarkt begegnet sind. Daruma Dolls sind in Japan das Symbol für menschliche Wünsche und Träume schlechthin. Man richtet seinen Wunsch an den Daruma, indem ein Auge mit einer Pupille bemalt wird. Wenn der Wunsch in Erfüllung geht, wird das zweite Auge bemalt und der Daruma kann im Anschluss verbrannt werden.

Diesen beiden Darumas wurde nie ein menschlicher Wunsch anvertraut. Ihre Augen sind leer. Oberflächlich betrachtet tragen sie einfach nur sichtbare Spuren der Zeit. Die einst rot glänzenden Daruma Figuren sind abgestoßen, matt und fleckig. Bei genauerer Betrachtung sind sie aber weit mehr als das. Sie sind in die Jahre gekommene Boten an das persönliche Glück. Man könnte auch sagen, sie warten noch auf denjenigen, der ihnen seine Wünsche anvertraut. Aber wieso? Wieso hat niemand die Chance ergriffen, die Dienste der beiden Glücksboten in Anspruch zu nehmen? Hatte sie schon jemand in der Hand, einen Herzenswunsch auf den Lippen, um sie dann doch wieder beiseite zu stellen? Sind die beiden der Inbegriff der verpassten Gelegenheit, dem eigenen Glück auf die Sprünge zu helfen? Die beiden Darumas verkörpern für mich auch das ästhetisch-emotionale Ideal des „mono no aware“. Sie sehen uns mit leeren Augen an und sagen „Ihr habt eure Chance nicht genützt. Schade, aber so ist das Leben eben“.

Wir kennen diesen Mist. Wünsche verblassen, wenn sie auf die lange Bank geschoben werden. Sie verlieren an Kraft. Bald sind sie nur mehr eine vage Erinnerung an das, was einmal in uns brannte. Auch an unseren Träumen spüren wir die Spuren der Zeit. Freilich lässt sich auch dem mit würdevoller Haltung begegnen, einer Haltung, die selbst den verblassten Träumen ihren Wert beimisst. Dem westlichen Betrachter mag das bekannt vorkommen. Wir finden uns eben damit ab – irgendwie. So ist das Leben eben. In Japan wird aber eben diese Haltung idealisiert und mit würdevoller Schönheit assoziiert.

Wabi Sabi dreams. Wabi Sabi moments. Ich habe diese Daruma Dolls recht lange betrachtet. Am Ende habe auch ich sie nicht gekauft.

Wabi Sabi Writings

Wabi Sabi Nature

Die Silbe wa aus Wabi bedeutet unter anderem Harmonie. Harmonie geht in Japan immer mit der Assoziation von Natur einher. Das natürliche und natürlich gealterte, Natürliches, das wiederum der Natur ausgesetzt ist, Naturerfahrungen, die mehr als nur Momentaufnahmen sind…

Diesen Weg
geht niemand
an diesem Herbstabend.
Bashô

Nebliger Tag.
Auch die Himmlischen
langweilen sich.
Issa

Wasser, neben Wind und Sonne für mich „das Element“, das Oberflächen formt und mit der Zeit verändert. Es durchdringt, schleift, sprengt, es beschleuningt die Verwitterung. Und es formt auch den Menschen. Wer am und mit dem Wasser arbeitet oder lebt, weiß davon zu berichten. Wasser prägt den Geist.

Und noch mehr. Sich auf dem Wasser zu bewegen bedeutet, mit allen Sinnen der Natur und ihrer formenden Kraft nahe zu sein. Vielleicht geht es nicht jedem so, für mich – der Puls von Wabi Sabi.

Das Wetter war auch der Grund, weshalb keine Gäste an den Kawaguchi-See kamen. An den in die Jahre gekommenen Schwanbooten lag es nicht. Die hätten gewartet, wie bei jedem Wetter. Nur manchmal reißt sich einer los und versteckt sich dann in den Büschen am Ufer.

Ein Tempel in der Nähe von Kawagoe. Er ist bekannt für seine 500 Arhat-Statuen. Die 538 Statuen wurden zwischen 1782 und 1825 errichtet. Alle Figuren unterscheiden sich in Gesicht und Mimik. Sie stellen Schüler Buddhas dar. Und auch an ihnen sehen wir die Spuren der Zeit. Die Statuen sind von Moos und Flechten bewachsen, manche Gesichtszüge sind verwittert, Ohren und Nasen abgesprengt. Eininge Arhats haben dadurch an Kontur verloren, manche haben dadurch ihren eigentümlichen Ausdruck erst gewonnen.

Wabi Sabi Moments

Wabi Sabi – sieht das nicht anders aus? Ist da nicht immer alles Grau und Schwarz? Man mag es fast meinen, viel Bilder, Bildbände oder Insta-Feeds sugerieren genau das. Aber es geht mir in diesem Artikel nicht darum, eine einheitliche Ästhetik mit möglichst hohem Wiedererkennungswert zu präsentieren. Es geht auch überhaupt nicht darum, einem möglichst beiten Publikum die Wabi Sabi Ästhetik einzubrennen. Bei diesen Bildern geht es um das emotionale Wabi Sabi, darum, die Einzigartigkeit des Vergänglichen, des Natürlichen und natürlich gealterten zu spüren. Den Traditionalisten unter den Wabi Sabi Ästhetikern werden meine Bilder auch nicht zusagen, zumindest vermute ich das. Aber für mich geht es in diesem Artikel auch nicht um die reine Ästhtetik. Mir geht es vielmehr um den Moment, der mich Wabi Sabi erinnern lässt. Es geht um meine ganz persönlichen Wabi Sabi Moments.

Wabi Sabi Apennin

Häuser dieses alten Baustiels werden in Italien klassich als Rustico bezeichnet. In der Tat, alles hier ist rustikal, die Häuser, die Landschaft, die Dörfer, die Speisen. Dieses alte Haus mit Blick über die Hänge des Apennin ist eine Oase. Jeder tankt hier Kraft, aus der Natur und aus der einfachen Schönheit dieses Ortes. Kaum irgendetwas ist hier neu. Siebenschläfer hausen in den Ritzen des alten Gemäuers, die Holzbalustraden der Terasse sind von Wind und Wetter gegerbt.

Alles hier hat Sprünge und Macken, ist irgendwie zusammengeflickt. Aber sie sind nicht nur schön, sie sind wohltuend, diese Macken, kommt man an diesem Ort doch besser mit seinen eigenen Macken zurecht.

Wabi Sabi Everywhere

Hätten Sie nicht doch noch einen gebraucht, einen Arm, ein Bein, das mit dem schwarzen Schuh vielleicht? So mancher Finger fehlt – der Anblick – bedenklich.