Welche unserer menschlichen Sinne sind wohl die richtigen, um Kunst zu begreifen? Welche sind erforderlich, um Kunst zu genießen? Und kann man Kunst eigentlich wirklich verstehen?


Ich beglückwünsche ausnahmslos jeden, der in der Lage ist, Kunst wirklich zu versteht. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das im Sinne der Kunst der alleinig seligmachende Anspruch ist. Gehen wir zunächst einmal davon aus, dass die Kunst ein „ästhetisches Produkt“ ist. Ihrem Wortstamm zufolge ist die „Ästhetik“ nichts weiter, als ein Gefühl, das durch sinnliche Wahrnehmung erzeugt wird – ob positiv oder negative, sei zunächst einmal dahingestellt. Vor dem Verstehen steht damit immer erst die sinnliche Wahrnehmung, das Tasten, das Hören, das Spüren, das Riechen, das Sehen.

Sollten Sie dennoch zu jenen zählen, die die Kunst in jedem Fall verstehen wollen, würde ich Ihnen aber doch unterstellen, dass Sie auch eine gewisse Lust und Freude an der Auseinandersetzung mit der Kunst verspüren. Und genau das ist mein Punkt. Widmen wir uns doch erst einmal dem lustvollen Kunstgenuss, dem Kunst lieben, mit allen Sinnen, die uns zur Verfügung stehen. Vielleicht folgt das Verstehen dann ja ganz von selbst…

Umami:

Und damit springen wir direkt in das Herz des Ukiyo-e Sake Pairings, zu Umami, dem Geschmacksverstärker des sinnlichen Genusses. In dem Artikel Umami: wo sonst treffen sich Sake und Ukiyo-e war bereits viel über die ominöse fünfte Geschmacksrichtung zu lesen, die letztlich die Vollmundigkeit oder die Reichhaltigkeit eines Geschmacks beschreibt. Auf Englisch wird das Ganze auch gerne „meaty taste“ genannt. Umami ist eine wichtige Dimension, um die Qualität von Sake zu beschreiben. Und wie schon so oft gesagt, finden sich dieser Körper und die Vollmundigkeit auch in einem Produkt wie dem Farbholzschnitt, der so reich an echtem Handwerk ist.

Welcher Sake spiegelt also den sinnlichen Genuss von Utagawa Kunisada?

Zu sehen: Die Schauspieler Kawarasaki Gonjurô, Ichimura Kakitsu IV und Ichikawa Kuzô. Ganz generell, dieser Farbholzschnitt ist kräftig und kommt in seiner Art recht herb, dominant aber auch mit einer leichten Note von Karamell daher. Klingt lustig? Dann schauen Sie sich einmal das Zusammenspiel aus Farben, Motivdetails und der Bildkomposition an.

Farben und Kontraste: Der Druck wirkt aufgrund seiner starken Farbigkeit zunächst einmal sehr kräftig. Besonders markant ist der Hintergrund in tiefem Blau, ohne weitere Details oder Ablenkungen. Auffallend ist darauf natürlich der Kimono des mittleren Schauspielers, Ichimura Kakitsu IV, in wirkungsvollen und durchaus warmen Farben: blasses Rosa (in etwa Ash Rose – blasses Rosa mit etwas Grau) mit einer Musterung in gedecktem Lila. Hinzu kommen die braunen Säume an diesem Kimono. Gerade aufgrund der gedeckten lila Musterung hat dieser Kimono einen auffallend weichen look and feel, der sich als Kontrast von dem harten Hintergrund deutlich abhebt. Auf Sake übertragen, würde ich bei dieser Farbkombination an einen leichten bis würzigen Karamellduft denken.

Auffallend ist auch, dass sich die Figur des Ichimura Kakitsu IV farblich von den unteren beiden Schauspielern abhebt. Diese sind tätowiert. Sie weisen sich damit als sogenannte „otokodate“ aus. Otokodate sind selbsternannte Straßenritter, die sich ermächtigten, die normale Bevölkerung vor den Ungerechtigkeiten der korrupten staatlichen Autoritäten zu schützen, im Übrigen auch vor den Samurai. Der Kimono der otokodate ist einfach Blau und Grau gemustert. Die Farbenlehre der Edo-Zeit verdeutlicht den Standesunterschied: Ichimura Kakitsu IV ist der Samurai. Die otokodate sind einfache Bürger der Stadt und farblich wesentlich dezenter gekleidet. Die Szene zeigt also Männer, die sich als Rivalen gegenüberstehen.

Starke farbliche Kontraste gibt es auch, beinahe grelle Kontraste, etwa das Rot im Fächer des Samurais oder in den Tätowierungen der otokodate. Auch die hellblauen Tonsuren oder die Schweißtücher mit den blauen Punkten kontrastieren deutlich mit dem Hintergrund. Die Farbkomposition in diesem Farbholzschnitt ist nicht darauf ausgelegt, ein rein harmonisches Bild zu erzeugen. Es gibt hier deutliche farbliche Spitzen, die den Druck und damit auch das Auge dominieren

Darüber hinaus hat dieser Druck viel Schwarz mit im Gepäck. Das Schwarz bringt Kühle aber auch Klarheit in den Druck, trotz der farbigen Spitzen. Die Haare der Schauspieler und vor allem die schwarzen Harnische der beiden otokodate schlucken einen weiten Teil des Bildes. Schwarz nimmt in diesem Druck viel Raum ein, einfach Schwarz ohne wenn und aber und ist damit ein durchaus dominanter Faktor. Auch der Verlauf am oberen Rand des Drucks ist schwarz, wie ein schwarzer Rahmen, der klare Grenzen setzt. Neben Schwarz und Dunkelblau machen also Rosa, Lila, Braun, Rot und Hellblau das Bild aus. Das dunkle Blau trägt, das Schwarz distanziert. Das gesamte Farbenspiel wirkt keinesfalls lieblich oder verspielt als vielmehr maskulin herb.

Das Motiv: Das Motiv des Drucks unterstreicht ebenfalls eine gewisse Dominanz gegenüber dem Betrachter. Auffallend ist die Symmetrie im Aufbau: Wir sehen nun einmal drei Darsteller. Die Köpfe sind, im Vergleich zum Gesamtdruck, groß und fordern Aufmerksamkeit. Sie bauen regelrecht Druck auf. Auffallend ist auch der Ausdruck von Ichimura Kakitsu IV, mit geschwungenen Augenbrauen und Mimik, was im japanischen Holzschnitt ungewöhnlich ist. Wollte man den Blicken der drei Schauspieler folgen, müsste man den Druck aus unterschiedlichen Richtungen anschauen. Auch in diesem Aufbau liegt etwas Dominantes, Geradliniges, aber auch Elegantes. Beinahe schweben die Figuren im Raum.

Die Details: Der Druck wirkt auf den ersten Blick relativ simpel, nicht zuletzt aufgrund des einfarbigen, flächigen Hintergrunds. Dabei gibt es eine Fülle an Details, die dem Druck im Sinne des Wortes „Fülle“ und Lebendigkeit verleihen. Die Muster der Kimonos, die gepunkteten Tücher, die Tätowierungen, der Gesichtsausdruck von Ichimura Kakitsu IV, die fein gearbeiteten Haare. Einzig die detaillosen schwarzen Harnische der otokodate wirken distanzieren und auch etwas irritierend. Der Druck ist detailreich, aber nicht verspielt oder gar lieblich.

Die Textur: Ein jeder Farbholzschnitt ist Handarbeit, die Farbe wird per Hand in das saugstarke Papier gedrückt. Dieser ist allerdings kein sehr texturreicher Druck. Er weist nur wenige Präge- oder Reibespuren von dem mechanischen Druckvorgang auf. Sie sind zu sehen, aber es braucht dazu die sehr nahe Betrachtung. Aus dieser Dimension schöpft der Druck nur wenig. Die Dichte der Handarbeit ist allerdings auch bei diesem Druck hervorragend auf der Rückseite des Blatts zu sehen

Wenn Umami also der sinnliche Geschmacksverstärker ist, dann hat dieser Druck schon ordentlich Körper. Er ist kein leichter, fliehender oder lieblicher Farbholzschnitt. Er ist aber auch anders, als der kühl-elegante Druck von Toyokuni, den ich in meinem ersten Ukiyo-e Sake Pairing beschrieben habe. Dieser Druck ist eher herb und dominant, wie Bitterschokolade oder starkes, bitteres Karamell. Der Druck ist wirksam, beeindruckend wenn auch dunkel distanziert. Eine leichte Süße ist mit im Spiel, z.B. von getrockneten Kirchen. Ein durchaus starker, dominanter Geschmack. Mit dem Vollholzrahmen wird die Assoziation mit Nussigem oder Karamell noch verstärkt. Der Rahmen mit der schwarzen Fuge stärkt das Bild.

Der Sake:

Passend wäre folglich ein körperreicher Sake, der aber nicht mit übertrieben mürbem oder zu stark reislastigem Umami ankommt. Hier braucht es die Balance von Umami und den besagten Aromen von Karamell und trockenen Früchten, nicht ganz nahbar, aber doch dominant: Taga aki no uta (Das Lied des Herbstes) – Taga Brauerei aus Shiga. Dieser Junmai ist ein sehr klassischer Junmai, mit Noten von Nüssen, Karamell, trockenen Früchten und moderater Säure. Er ist nicht von der Sorte geradlinig und clean, als vielmehr voll, lange auf der Zunge und ja, mit reichlich Umami auch dominant.

Ich finde, dieser Farbholzschnitt von Utagawa Kunisada ist wirklich sehr interessant. Wer beginnt, sich richtig in ihn hineinzusehen, den zieht er in seinen Bann. Die Gesichter, die Details, die Kontraste, all das lässt sich bei diesem Druck sehr ausführlich, beinahe wie unter einer Lupe studieren. Und trinken Sie ruhig noch ein Glas Aki no uta dazu. Ich hoffe, Sie haben damit viel Freude. Ich würde sagen, es hilft sogar dabei, diesen Farbholzschnitt zu verstehen.