Ich erinnere mich noch gut. Sie haben mich alle sehr verwundert angesehen an jenem Abend in den Gassen von Asakusa ( Tokyo).


Okâ-san, meine Gastmutter, die mich vor gut 17 Jahren erstmals in ihrem Haus aufgenommen hatte, erzählte mir gerade etwas über den Sensô-ji, den buddhistischen Tempel im Herzen des Bezirks. Meine Gastschwester, Yoko-san, bahnte uns den Weg durch die überquellenden Straßen, mitten durch die vielen lautstark flanierenden Passanten, die sich vor kleinen Restaurants und traditionellen Geschäften drängten. Und inmitten dieses satten Treibens bleibe ich plötzlich stehen und rufe wie ein Groupie: Oh, look, there is David Bull!

Oh mein Gott! Woher kennt sie diesen Typen nur? Yoko-san lächelt, aber ihre Augen lassen erahnen, dass sie gerade etwas Seltsames denkt. Tja, David, wie soll ich dich nur beschreiben? Wen es genauer interessiert, wird ohnehin auf deine Homepage schauen. In jedem Fall sieht der hagere, grauhaarige, bärtige Mann bei Leibe nicht so aus, als gehöre er in diese Welt.

Yoko-san, das ist David Bull. David ist Kanadier. In seinem Shop in Asakusa veranstaltet er Events, bei denen sich jeder im Drucken von japanischen Farbholzschnitten (Ukiyo-e) versuchen kann. Außerdem ist er einer der wenigen „Nicht-Japaner“, der selbst wunderbare Drucke herstellt und mit diesem traditionellen Kunsthandwerk sein Geld verdient.

Einige Wochen später besuchte ich David in seinem Shop. Er war gerade dabei, den zweiten Stock über seinem bestehenden Geschäft auszubauen. Keine Angst, David, ich werde an dieser Stelle nicht ausplaudern, welch witzige Stories du mir über diesen Umbau erzählt hast, auch nicht über die Zugänge zu den Abflussrohren deiner Toilette…

Aber ich durfte lernen, dass David und ich, beide lieben wir japanische Farbholzschnitte, in einem Punkt sehr unterschiedlicher Meinung sind. Kann oder besser darf man japanische Drucke rahmen? Für David ein absolutes No go. Japanische Drucke zu rahmen, werde weder dem Betrachter noch den Künstlern, die diese Drucke mit größter Präzision gefertigt haben, gerecht. Und ja, er weiß dies auch zu begründen. Japanische Drucke oder Ukiyo-e entstanden zu einer Zeit, als es in Häusern noch kein elektrisches Licht gab. Als Beleuchtung diente lediglich Tageslicht, Feuer oder Kerzenschein. Hätten wir also seinerzeit einen Druck bei Kerzenschein oder an einem geöffneten Fenster betrachtet, so wäre das Licht horizontal über den Druck gefallen und hätte die Textur des Papiers zum Vorschein gebracht, die Schärfe der einzelnen gedruckten Linien, die Absorption der Pigmente, die Prägungen des Papiers. Nur so sieht man den Druck und wird auf diese Weise auch den Handwerkern gerecht: dem Designer, dem Papiermacher, dem Bürstenmacher, dem Hersteller der Druckwerkzeuge, sprich all jenen, die ihre ganze Leidenschaft in ihr Tun eingebracht haben. Hinter Glas und an der Wand sieht man die wahre Seele der Drucke nicht. Oder zumindest nicht so deutlich.

Zudem haben die Motive japanischer Drucke kaum Perspektive. Sie sind nicht dafür gemacht, vor seinem Betrachter an der Wand zu hängen und schon gar nicht dann, wenn der Betrachter in einem gewissen Abstand vor dem Druck steht.

Und noch etwas: aus Davids Sicht ist es einfach schrecklich, wenn Drucke zur reinen Dekoration verkommen. In seinen Augen wird ein gerahmtes Bild nach ein paar Monaten zur Tapete. Es wird zur Selbstverständlichkeit, das Motiv wird schal und ist für das Auge abgenutzt. Er plädiert für den steten Wechsel von Objekten. Um Einzelrahmungen zu vermeiden, verkauft er auch seine Drucke nicht als Einzelstücke, selbst wenn Kunden danach fragen. Er verkauft seine Drucke als Sets, wobei er über ein Jahr hinweg seinen Abonnenten jeden Monat einen neuen Druck nach Hause schickt. Jeder Abonnent erwirbt mit der Bestellung seines Sets ein Holzkästchen, um die Drucke darin aufzubewahren und das mittels eines aufsetzbaren Holzrückens die Möglichkeit bietet, die Drucke ohne Rahmen aufzustellen.

Mir hat die Diskussion mit David viel Spaß gemacht. Natürlich sind dies gute Argumente – historisch gesehen absolut korrekt. Aber, lieber David, ich sehe es dennoch anders.

Vielleicht betrachte ich das Thema ja einfach aus einer anderen Perspektive. Vor meinem inneren Auge lasse ich gerade all die Wohnzimmer, Inneneinrichtungen oder Hoteleinrichtungen vorbeiziehen, die ich so gerne aufmerksam studiere. Und ganz egal wo ich mich auf der Welt befinde, was ich fast nie sehe, ist ein japanischer Druck oder ganz allgemein gesprochen, japanische Kunst. Vielleicht läuft mir hin und wieder ein Poster mit banalem Bambus-Motiv über den Weg oder ein Accessoire im verkitschten pseudo Japan-Look. Aber das Schöne Japans, das sich ganz wunderbar mit dem westlichen Ambiente kombinieren lässt, das sehe ich leider so gut wie nicht. Was soll ich also tun, um Sie und auch viele andere für japanische Kunst zu begeistern? Ich persönlich habe mich entschieden. Ich fange einfach mit dem an, was nach westlichem Verständnis das Naheliegendste ist: dem gerahmten Objekt.

Natürlich muss ich zugeben, dass das Konzept des Rahmens in gewisser Hinsicht dem japanischen Umgang mit der Kunst widerspricht. In Japan werden Kunst und Künste viel flexibler und aktiver in den Alltag integriert (mehr dazu unter Philosophie 生 lebendig). Während im westlichen Ambiente Gemälde oder Bilder permanent an der Wand hängen, wurden in Japan Kunstobjekte je nach Jahreszeit oder zu besonderen Anlässen aus den Lagern in das Haus gebracht. Der Anlass bestimmte somit das Objekt. Doch dieses Konzept ist im westlichen Kontext kaum gebräuchlich. Ist das aber ein Grund, es mit der japanischen Kunst gleich ganz zu lassen?

Zudem, um auf einen weiteren Einwand von David einzugehen, Rahmen bedeutet für mich keinesfalls, den Druck und seine Künstler nicht zu würdigen. Wie wäre es an dieser Stelle mit einem anderen Gedanken? Wie wäre es damit, Drucke oder auch andere Objekte durch Passepartout und Rahmen in ihrer Wirkung einfach weiter zu modellieren? Ohne vermessen klingen zu wollen, gefällt mir der Gedanke, weiter zu gestalten, was Künstler geschaffen haben, aber ganz sicher ohne deren Leistung dadurch schmälern zu wollen. Doch alleine durch die Wahl der Größe des Rahmens eröffnet sich eine völlig eigene Welt. Außerdem – hängen Sie Ihre Drucke ruhig so auf, dass Sie möglichst nahe herantreten können. In diesem Punkt bin ich voll und ganz mit David einer Meinung. Lassen Sie sich die Details und die Textur Ihrer Drucke nicht entgehen. Gutes entspiegeltes Museumsglas kann hierbei sehr hilfreich sein.

Ein Risiko birgt die Rahmung von Drucken aber doch. Ukiyo-e sind lichtempfindlich. Erstklassiges Glas mit UV-Schutz ist daher zwingend erforderlich. Sicherlich ist diese Lichtempfindlichkeit einer der Gründe, weshalb noch heute viele Drucke in Mappen lagern und nur für kurze Zeit das Licht der Welt erblicken. Ganz ehrlich, ich finde das schade. Wie gesagt, gutes Glas schützt in ausreichendem Maße.

David ließ mich mit meiner Meinung ziehen, aber er hielt die seine natürlich für die Richtige. Ich will ihm auch nicht in Gänze widersprechen. Im Übrigen finde ich seine Paulownienkästchen und seine Art, japanische Drucke auszustellen, ganz und gar wunderbar. Und dennoch, für mich macht es Sinn, japanische Kunst in ein nicht-japanisches Umfeld zu übersetzen, wenn sie dadurch gesehen wird und lebendig bleibt.

 

Quellen: Ostasiatische Kunst, Herausgeber Gabriele Fahr-Becker, www.woodblock.com von David Bull