Was für ein Geschrei! Schon so früh am Morgen. Möwen kreisen über unseren Köpfen und stürzen sich auf das alte Brot, das wir eher beiläufig ins Meer geschmissen haben. Sind die so hungrig? Ne, die sind einfach nur gierig. Möwen sind so…

Das etwas andere Segeltagebuch

Wie lange werfen wir nun schon unsere Brotreste über Bord? Seit 7 Monaten? Ich glaube schon. Mein Mann und ich, wir leben auf dem Wasser, zumindest seit einiger Zeit. Wir erfüllen uns einen Traum – segeln auf einem wunderbaren Katamaran an den Küsten Europas entlang. Auf der quasi München haben wir alles was wir beide brauchen, von der guten Flasche Wein bis zur japanischen Kunst. Mit der Zeit haben wir es uns an Bord wirklich gemütlich gemacht. Und doch – am Ende muss sich jeder auf See damit abfinden, dass es auch ungemütlich sein kann – ganz einfach weil man auf dem Wasser ist. Und damit sind wir auch gleich beim Thema: Wasser. Wasser und Japan.

quasi München – unser aktuelles zu Hause

Seit wir auf unserem Katamaran unterwegs sind (by the way – ich habe mir ein einjähriges Sabbatical gegönnt), habe ich mehr Zeit für mich. Das heißt natürlich Zeit zum Segeln, aber auch Zeit zu lesen, zu schreiben und meinen Gedanken nachzuhängen. Und ich spreche von wirklichem nachhängen, abhängen, auf die tollsten und dümmsten Gedanken kommen. Über Mögliches und Unmögliches einfach mal brüten.

Also wieso? Wieso habe ich so selbstverständlich einen Karton mit unterschiedlichstem Sake auf unseren Katamaran mitgeschleppt, einen großen Karton (mit ausgesprochen viel Sparkling Sake) – so viele Sorten Tee, so viele Bücher über die Kultur und die Ästhetik Japans eingepackt, wo ich doch auf ein Boot gehe? Wäre da nicht andere Lektüre angebracht, oder zumindest andere Getränke? Wir segeln an die schönste Orte Europas und ich schlage meine Bücher auf und lese von Japan. Macht das denn Sinn? Im Hier und Jetzt sein stellt man sich anders vor, oder nicht?



Japan auf See

Nur – die Dinge stellen sich für mich etwas anders dar, seltsamerweise, aber ja. Ich schreibe den Blog Kunst aus Japan. Wer würde daher nicht davon ausgehen, dass ich Japan wirklich gut leiden kann. Ich habe mich im Studium in die Sprache und die Kultur Japans vertieft und auch für eine bescheiden kurze Zeit in Japan gelebt. Doch das ist nicht alles. Japan ist für mich mittlerweile mein Vergleichsmedium wenn es darum geht, das Schöne oder das Angenehme zu bemessen. Japan hat viel mit meiner eigenen Justierung in der Welt zu tun. Es ist mir auf seltsame Weise zur inneren Stütze geworden. Japan ist für mich einfach überall.

Und ob Sie es glauben oder nicht, es gibt eine beinahe elementare Verbindung zwischen Japan und der Segelwelt: Wasser. Und ja, Wasser wird uns letztlich auch zu Tee und Sake führen.

Wasser spielt im Alltag der japanischen Gesellschaft eine wesentlich bedeutendere Rolle als dies in westlichen Kulturen der Fall ist. Nehmen wir das Offensichtlichste. Aufgrund der tektonischen Bedingungen in Japan brodelt heißes, mineralhaltiges Wasser an allen Ecken und Enden einfach so aus dem Boden, was von Mensch und Tier allzu gerne für entspannende heiße Bäder (Onsen) genutzt wird. Überhaupt, das tägliche heiße Bad, ob zu Haus oder gemeinsam im Badehaus (Sento), ist ein beinahe heiliges oder zumindest existentielles Ritual, das im Alltag Japans nicht wegzudenken ist.

Japan als Insel ist natürlich von Wasser umgeben, in der Regenzeit stürzt Wasser vom Himmel und hinterlässt eine enorm hohe Luftfeuchtigkeit. Traditionelle Wege und Trittsteine werden aus praktischen und ästhetischen Gründen gewässert. Man könnte sagen, Japan ist einfach nass. Vor dem Betreten von Schreinen und einigen Tempeln erfolgt eine rituelle Reining von Händen und Mund mit Wasser. Und nicht zuletzt die Lebensmittel, Reis wächst in Japan im Wasser, das Brauen von Sake verlangt nach Unmengen von Wasser und Tee….

Der Alltag des Seglers – nicht weniger wässrig. Da ist natürlich erst einmal das Meer, in all seiner Pracht und Zornigkeit, mit seiner Intensität und Salinität. Nach rauen Fahrten schwappen wir literweise Süßwasser über das Deck, um die klebrigen und auch aggressiven Salzablagerungen zu entfernen. Wasser kommt von unten und häufig auch von oben, häufiger als einem vielleicht lieb ist. Neben dem beliebten Bad im Meer steht man oft mit den Füßen im Wasser, eben beim Schrubben, oder wenn auch mal unter Deck die Badkabine ausgespritzt werden muss. Man spült und wäscht seine Kleidung mit den Händen und ist auch einmal betrübt, wenn das Wasser nach einem Regenguss durch die undichten Luken drückt. Bilgenpumpen entfernen das „zu viel an Wasser“. Mit dem Wassermacher produzieren wir Süßwasser für den täglichen Gebrauch. Wasser ist ein ständiges Thema an Bord und wird demnach auch ein zentrales Thema in meinem Segeltagebuch sein.

Als verbindendes Element kommen neben dem Wasser sowohl in Japan als auch beim Segeln die Götter mit ins Spiel. Die Götter?

Ja, lesen Sie einfach weiter. Dies ist ein Segeltagebuch mit unterschiedlichsten Gedanken über das Leben auf See, nicht nur zum Thema Wasser und Götter, als auch zu den Themen Sake und Tee, japanisches Essen, japanische Kunst und japanisches Leben an Bord. Dieses Tagebuch ist ein fortlaufender Eintrag, ich bin selbst gespannt, welche Gedanke hier noch zusammenkommen werden.


Segelerkenntnisse der ersten Stunde – über das Wasser

Der Mensch nährt sich von den Eindrücken, die er im Laufe seines Lebens sammelt. An Bord können dies sehr große und mächtige Eindrücke sein, lebensverändernde Eindrücke, wenn man mal ganz pathetisch sein will. Dominiert werden diese in erster Linie durch ein Medium, das Wasser. Das ist nun keine riesige Erkenntnis – ein Low-Brainer könnte man fast sagen. Aber so viel Wasser macht eben doch was mit einem. 

Zunächst einmal kann ich gut damit leben, das Medium Wasser, H2O, einmal ganz nüchtern aus der Vogelperspektive zu betrachten. Im Grunde würde ich sagen, Wasser IST. Und doch ist es für jeden etwas anderes, unabhängig davon ob wir von Salzwasser oder von Süßwasser sprechen. Für uns ist es das sogenannte „Element“, auf dem unser Katamaran schwimmt. So weit so gut. Aber es ist eben noch viel, viel mehr. Wasser ist Lebensraum für unzählige Tierarten und lebende Wunder, es ist ein Speicher für CO2, es ist das schönste Motiv der Welt, es sorgt für den Badespaß, der jeden Urlaub rettet. Sprechen wir auch noch vom Wasser in der Luft, wird die Sache noch einmal komplexer. Wie bei fast allem im Leben gibt es auch auf das Wasser unendlich viele Perspektiven, abhängig davon, ob ich nun Kind, Segler, Biologe, Meteorologe, Kaufmann oder Künstler bin – oder eben ein japanliebender Segler. Als solcher habe ich nochmals meinen ganz eigenen Blick auf „das Wasser“. 

Auf dem Meer wirst du gottgläubig oder…

Wasser an sich ist auf den ersten Blick ja noch nichts Spektakuläres, zumindest noch kein lebensverändernder Eindruck, oder? Wie gesagt – Wasser ist. Im gleichen Atemzug fällt mir jedoch eine Redewendung ein, an die mich vor ein paar Tagen erst wieder jemand erinnert hat. Auf dem Meer wirst du gottgläubig oder zum Alkoholiker… oh jeh, schon seltsam, dass es so häufig pathetisch klingt, wenn man über’s Segeln spricht. Aber es ist nicht das Meer an sich – die Kräfte die auf das Wasser einwirken machen das Meer zum Spektakel, im Schönen wie im Hässlichen. Plötzlich wird das Wasser zum potenzierenden Medium, für den Wind, den Mond, die Rotation der Erde, die Sonne und vieles, was einem sonst abstrakt erscheinen mag. Im Wasser wird alles spürbar, sichtbar, erfahrbar, ob man will oder nicht.

Außerdem ist das Meer für mich ein unendlich großer Spiegel, der alles Farbige über der Wasseroberfläche reflektiert und auch die „Farben“ aus den Tiefen aufscheinen lässt. Auch in optischer Hinsicht hat Wasser für mich einen multiplikativen Effekt, der im Folgenden noch eine große Rolle spielen wird. Nur – was macht es nun für einen Sinn, über all das zu schreiben? Das haben doch schon so viele getan, über die alten Männer und das Meer. Vielleicht ist es aber auch ganz einfach. Wer gerne schreibt, kann es eben einfach nicht lassen, über das zu schreiben, was so sehr beeindruckt, beeindruckt und bewegt.  

Im Meer – die einfach schönsten Seiten eines Segeltagebuchs

Ich will hier nicht gleich mit dem Meer beginnen, das einem den Magen umdreht. Klar, das gibt es auch, aber wenn ich ehrlich bin, sind diese Bedingungen doch seltener, als es vielleicht vermutet wird. Nach 6 Monaten kann ich sagen, dass wir überwiegend angenehme Tage auf See hatten, bewegte Tage vielleicht, das schon, aber doch genussvolle Tage. Vielleicht tue ich mir leicht, das so zu sagen, denn mein Magen macht tatsächlich jedes Wetter mit – absolut jedes, wie ich bisher glücklicherweise feststellen durfte.

Aber eines ist auch klar. Dass ich überwiegend gutes Segelwetter, guten Segelwind und Gott sei Dank überwiegend ruhige Nächte auf See erleben durfte, liegt ganz sicher am hervorragenden Captain, der es eben versteht, sich Wind und Wellen nur dann und nur so auszusetzen, dass es Sinn macht. Da steckt viel Erfahrung dahinter und viele Stunden Beschäftigung mit Wetter-Apps, Wetterbericht und Co. Mein Mann macht das gerne, aber ich weiß auch wie anstrengend das ist. Es geht eben um Existenzielles, nicht um nebensächlichen Kram, wie er einem im beruflichen Alltag so häufig über den Weg läuft. Wie wichtig eine ruhige Nacht und ausreichend Schlaf sind, merkt man schnell, dann wenn es eben nicht so ist und besonders auf dem Meer.

Ein Tag im Meer

Manche sagen ja, „ich mag das nicht“. Baden im Meer ist irgendwie unheimlich. Wieso nun genau? Die meisten können es im Grunde gar nicht sagen, was denn so unheimlich am Meer sein soll. Es einfach so… irgendwie…

Das kann ich zum Glück überhaupt nicht nachvollziehen. Was soll daran nun unheimlich sein?

Wir haben den schillerndsten und aufregendsten Pool der Welt. Den Einen lockt es schon morgens, vor dem ersten Kaffee ins Wasser, andere erst… ein wenig später. Aber irgendwann sind wir einfach im Wasser.

Gut, als wir im April des letzten Jahres (2022) in Lavrion bei Athen unsere Reise begannen, war die Wassertemperatur noch nicht ganz meines. Wenn die Kälte des Wassers so richtig schön auf der Haut prickelt, dann kann ich noch gut und gerne darauf verzichten. Kaltes Wasser soll ja gut sein gegen allerlei Gebrechen und körperliche „Erschlaffung“, vermutlich auch gegen geistige Erschlaffung. Ich nehme dennoch den Neoprenanzug.  Aber immerhin komme so auch ich ins Wasser – das erste Mal vor Spetses. Warum? Weil das Wasser in der kühleren Jahreszeit genauso glasklar, türkisblau und funkelnd ist wie im Sommer, weil es einlädt und lockt, nur eben ein paar Grad kälter.

Im Sommer gab es dagegen Phasen, leider, die uns so heiße Temperaturen bescherten, dass es außerhalb des Wassers kaum mehr auszuhalten war. Der Körper brauchte die Kühle des Wassers, dringend. Die Hitzewellen (deutlich über 40 Grad) des vergangenen Jahres und auch des Jahres zuvor zählen zu den traurigsten Erfahrungen, die wir auf unseren Reisen machen mussten. Wenn der Wind in Griechenland, nicht in der Sahara!, so heiß über das Gesicht peitscht, dass er in kürzester Zeit die Augen austrocknet, läuft etwas falsch. Diese Welt ist schon jetzt zu heiß, sie wird brennen und nicht jeder kann an einem heißen Tag seinen Körper stündlich im Meer kühlen. Das ist eine schmerzlich brutale Einsicht, eine körperliche Erfahrung, die prägt und auch mitten im Paradies Hoffnungslosigkeit schüren kann, wenn man nicht aufpasst. Aber das ist ein ganz eigenes Kapitel.

Die Lust am Wasser

Zurück zur Lust am Wasser: 2021 haben wir auf der Insel Lipsi (Dokekanes), eine der nettesten, weil noch immer reichlich verschlafenen Inseln Griechenlands, ein Ehepaar aus der Gegend um Valencia kennengelernt. Auch sie sind auf ihrem Katamaran unterwegs und sie sind für uns der Inbegriff an Lust am Wasser. Mir kommt es so vor, als seien sie mit Taucherbrille und Schnorchel auf die Welt gekommen. Wann immer wir sie sehen, sind sie entweder einfach nur so am Schwimmen, oder eben mit Schnorchel und Co. in ihrem Dinghy unterwegs, um an den küstennahen Felsen oder an ungestörten Stränden das „im Wasser“ zu genießen. „Wir fahren mal schnell an das kleine Riff dort drüben, denn dort hat es wirklich so wunderschönes Wasser“. Beide segeln seit Kindertagen und sie lieben alles im und auf dem Wasser, selbst wenn sie sich mit den Gummilitzen der Taucherbrillen regelmäßig die Haare ausreißen. Spanier sind so – meinen die beiden. Alle Spanier lieben das Meer. Vielleicht…

Wunderschönes Wasser

Also auf zum wunderschönen Wasser. Wo auch immer der Anke fällt, finden wir ein ganz eigenes „wunderschönes Wasser“. Vermutlich bezeichnen die meisten Menschen das Wasser als „schön“, wenn es glasklar ist, ohne Trübungen oder Sedimente, wenn man es also eigentlich gar nicht sieht. Tatsächlich gibt es sie ja, diese Bilder auf denen kleine Boote scheinbar in der Luft schweben, weil man das Wasser, glasklar wie es ist, einfach nicht sieht.

Das Geheimnis des schönen Wassers liegt vermutlich in dem, was es uns auf seine ganz eigene Weise zeigt… das „darunter“, die weißen, scheinbar bis ins Unendliche reichenden Sandformationen im seichten Wasser, die die Wellen des Ozeans nachzeichnen… das Seegras, das bräunlich und bläulich am Meeresgrund schillert… Felsen in den unterschiedlichsten Formen, von rundlich glatt bis bizarr und scharfkantig. Am Ende ist aber eben doch alles Sichtbare eingehüllt in ein Schillern und Wabern, das von Türkis bis Dunkelblau reicht, je nach Wassertiefe und Untergrund.

Abtauchen und sehen

Wir sind keine großen Taucher, zumindest nicht mit Pressluftflaschen oder schwererem Gerät. Ich kann also nicht von spektakulären Haien oder Ähnlichem berichten, was wir unter Wasser gesehen hätten. Bezaubernde Momente unter Wasser gab es dennoch, auch wenn ich hier von kleineren, beinahe intimen Begegnungen spreche, aber eben solchen, die man einfach schon mit Taucherbrille und Schnorchel machen kann – z.B. mit den neugierigen Fischen von Korsika.

Die Korsen sind für meine Begriffe ein eigenwilliges Volk. Im Alter von 14 Jahren musste ich diese Eigenwilligkeit am eigenen Leib erfahren. Vertreter der FLNC (Frontu di Liberazione Naziunale Corsu), eine Bewegung zur Befreiung der Insel Korsikas, stürmten das Ferienapartment, das wir als Familie gemietet hatten, um es zu sprengen. Letztlich sind weder wir noch unsere Bude in die Luft geflogen – doch es war knapp.

Eigenwillig waren tatsächlich auch die Fische vor Korsika – nicht angriffslustig, das glücklicherweise nicht – aber irgendwie unerschrocken. Normalerweise weichen Fische doch zurück, wenn menschliche Geschöpfe ihr Terrain betreten. Zumindest die Fische im Golf von Porto an der Westküste Korsikas taten genau das nicht. Letztlich schwebten wir schnorchelnd in einem wirklich großen Schwarm von Bandbrassen und kleinen schwarzen Fischen, die scheinbar überhaupt keine Angst vor uns hatten. Gerade die Brassen kamen bis auf wenige Zentimeter an uns heran. Sie wirkten neugierig, als beobachteten sie uns. Manche glitten am ausgestreckten Arm entlang, andere schauten uns einfach direkt an. Fisch und Mensch – Mensch und Fisch – wir beäugten uns mit großer Neugier und auch Vertrauen.

Noch nie hatte ich die Gelegenheit, frontal und ganz in Ruhe in so viele Fischgesichter zu blicken. Und sieh an, bei genauerer Betrachtung kam es mir so vor, als hätten sie doch alle ein unterschiedliches „Geschau“. Haben Fische unterschiedliche Gesichtszüge? Ich weiß es nicht besser, aber nach diesem Erlebnis meine ich es doch. Manche schienen zu lächeln, andere hatten die Mundwinkel nach unten gezogen, bei wieder anderen schienen die Augen enger zu stehen als bei ihren Kollegen, manche hatten dunklere Flecken am Schädel, was sie grimmiger erscheinen ließ… Gut, vielleicht haben wir es uns am Ende auch nur eingebildet. Aber es war eben ein wirklich magischer Moment – seltsam, lustig, rührend – aber in jedem Fall magisch. Zumindest habe ich noch nie Fische gesehen, die sich so verhalten hätten.

Abtauchen und spüren

Am Ende geht es bei der „Faszination unter Wasser“ aber nicht nur um das Schauen. Es geht auch darum, wie wir uns im Wasser selbst wahrnehmen und spüren. Immerhin ist es das einzige Medium, in dem es der Mensch schafft, ohne große Hilfsmittel horizontal dahinzugleiten, über und auch unter Wasser. Einmal Luftholen reicht, um abzutauchen, um im seichten Wasser über den weißen Sandboden zu gleiten, dabei eine Muschel aufzulesen und die Seezungen im Boden aufzuschrecken, die dann eilig davonschwimmen. Jeder Zentimeter Haut darf sich an die Kühle des Wassers gewöhnen, wie gesagt, eine Wohltat, wenn die Lufttemperaturen kaum mehr auszuhalten sind. Haben Sie mal nachgespürt, an welchen Körperteilen Sie das kalte Wasser besonders spüren und wo eigentlich so gut wie nicht?

In jedem Fall ist es möglich, selbst Stunden genussvoll im Wasser zu verbringen, so lange bis die Sonne untergeht. Das gehört zum Segeln, zum Sein auf dem Wasser. Das Wasser ist das bestimmende Element.

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Wasser und Japan

Wasser und Japan – das ist, wie schon angedeutet, wieder eine ganz eigene Geschichte. Natürlich, das Inselreich Japan ist umgeben von Wasser. Das ist offensichtlich. Entsprechend hat das Meer bis heute eine nährende Funktion, sei es für Fischer, Muschel- oder Algenzüchter, die ihre Lebensgrundlage aus dem Meer ziehen. Es heißt nicht umsonst, dass in Japan alles, aber auch wirklich alles gegessen wird, was aus dem Meer kommt. Leider ist auch die Anschuldigung, dass unsere japanischen Freunde einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, die Weltmeere leer zu fischen, nicht vom Tisch zu wischen. Doch das Meer nährt das Inselreich in vielerlei Hinsicht, denken wir an die berühmte japanische Perlenindustrie oder natürlich auch an alle weiteren kommerziellen Unternehmungen, die auf dem Meer oder drum herum stattfinden. 

Kamakura Beach Japan

Das Geschenk der Götter – heiße Quellen in Japan

Aber an dieser Stelle soll es um eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Wasser in Japan gehen: um die Betrachtung des heißen Wassers. Japan hat nicht besonders viele Bodenschätze. Eine Ressource, an der es allerdings nicht mangelt, ist sauberes Wasser, das aus zahlreichen natürlichen Quellen austritt. Zudem ist die japanische Inselgruppe von über 100 aktiven Vulkanen durchsetzt – dem Feuergürtel. Das ist für Mensch und Tier nicht immer ganz ungefährlich. Einen Vorteil hat es aber doch, einen großen sogar. In ganz Japan gibt es unzählige heiße Quellen, gespeist aus den natürlichen Wasservorkommen, die sich über den Magmakammern der Vulkane aufheizen. Es heißt, die heißen Quellen wären ein Geschenk der Götter an die Menschen, zum Ausgleich für das Leben an einem sonst eher beschwerlichen Ort (Taifune, Erdbeben, Starkregenfälle… Pachinkohallen… ). Alte Geschichten erzählen davon, wie die Götter den Mönchen verrieten, wo sie nach den heißen Quellen suchen sollten, um dann dort – natürlich – einen Onsen zu errichten. Ob nun ein Geschenk oder nicht, die heißen Quellen werden von den Menschen in jedem Fall als Segen empfunden und das Baden im heißen Wasser als heiliges Ritual gepflegt.

Das Bad in den heißen Quellen – der japanische Onsen

Einmal ist er ja nun schon gefallen, der Begriff „Onsen“. Aber was ist überhaupt ein Onsen?

Ein Onsen ist ein Bad, das aus einer natürlichen heißen Quelle gespeist wird. Ein Thermalbad also. An jenen Orten, wo die heißen Wasservorkommen besonders ergiebig sind und oberflächennah verlaufen, haben sich seit Jahrhunderten Badehäuser etabliert, die den Gästen gegen ein relativ geringes Eintrittsgeld die Freuden eines heißen Bades eröffneten. Die ältesten Aufzeichnungen von einem Onsen (Dogo Onsen) gehen bis auf das Jahr 720 zurück.

Heute kommt man nicht umhin zu sagen, dass sich die heißen Quellen Japans im Laufe der Jahrhunderte von „geheimen Plätzen“, die nur die Götter kannten, zu touristischen Hochburgen entwickelt haben. Häufig entstanden rund um Thermalquellen Orte mit Hotels und Pensionen, die seit jeher von Reisenden und Pilgern besucht wurden. Man könnte auch sagen, seit es Onsen gibt, gab es auch einen innerjapanischen „Badetourismus“, denn ein Bad zu besuchen war schon immer weit mehr als nur Notwendigkeit. Und natürlich gibt es sie noch heute – moderne aber auch traditionelle japanische Hotels (Ryokan), die in den sogenannten Onsen-Orten (im übertragenen Sinne Kurorten) allesamt mit mehr oder weniger spektakulären Badebereichen aufwarten.

Das heiße Bad als Ritual in Japan

Überhaupt, Baden gehört in Japan zum Leben wie für „uns“ die Tasse Kaffee am Morgen. Gebadet wird täglich nach getaner Arbeit, nicht nur für die Hygiene, sondern vor allen Dingen zur Entspannung – für sich selbst. Wobei, dass nur nach der Arbeit gebadet wird stimmt natürlich nicht. Öffentliche Bäder stehen den ganzen Tag über zur Verfügung und sie werden auch durchgehend genutzt, je nach Zielgruppe. Dennoch, das tägliche Bad, wann auch immer es stattfindet, hat im Leben der Japaner einen enorm hohen Stellenwert – ein Pfeiler der japanischen Kultur, wenn man so mag.

Doch nicht jeder Haushalt hatte eine eigene Wasch- oder gar Badegelegenheit, zumindest nicht in vergangenen Tagen. Das öffentliche Bad war damit eine notwendige und wichtige Institution, gleich ob in der Stadt oder am Lande.

Wird ein Bad nicht mit natürlichem heißen Thermalwasser, sondern mit einfachem erhitzen Wasser betrieben, nennt sich diese Einrichtung Sento. Da auch jene Menschen, die nicht in der Nähe einer natürlichen heißen Quelle lebten, ein Bad benötigten, gab es neben den natürlichen Onsen auch jede Menge Sento, also einfache Badehäuser. Im Unterschied zum nackten erhitzten Wasser ist natürliches Thermalwasser mit vielen Mineralien und Elementen angereichert, häufig mit Schwefel. Und genau das ist für manche Nasen echt grenzwertig. Der Thermalort Beppu riecht wie das Eingangstor zur Hölle. Es brodelt und stinkt. Das ist eine olfaktorische Herausforderung, aber die heilsamen Wirkungen der Quellen sind sagenumwoben. Was wurde nicht alles wo geheilt… Die Prospekte der Badeorte wimmeln davon. Glücklicherweise – nicht jeder Onsen stinkt! Die Zusammensetzung des Wassers ist von Region zu Region verschieden. Onsen durfte und darf sich nur nennen, wer Wasser mit mindestens einem von 19 speziellen chemischen Elementen in seine Becken laufen lässt.

Im Onsen

So unterschiedlich die vielen Onsen und auch Sento in punkto Stil, Modernität oder Luxus auch sein mögen, so sehr kann man sich doch auf ein paar wiederkehrende Aspekte verlassen, die alle Badegelegenheiten gemein haben.

Da ist zunächst einmal der Umkleidebereich. Jeder Badegast betritt (ohne Schuhe) einen Umkleideraum – in den meisten Fällen ist das ein Gemeinschaftsumkleideraum. Und ab hier wird die Sache dann auch schon „nackt“. Man entkleidet sich gemeinsam, verstaut seine Kleidung in einem Körbchen, welches dann schön ordentlich in einem Regal deponiert wird. Manche Bäder stellen auch Schließfächer bereit, aber eben nur manche. Aber keine Sorge, in Japan wird nichts geklaut, nicht im Onsen und schon gar nicht, wenn es sich um unsere alten Socken oder Handys handelt. Beides gibt es in Japan in besserer und modernerer Ausführung als wir es und vorstellen können. Also machen wir uns ob unserer wertvollen Habseligkeiten einfach mal locker. Von der Umkleide begibt sich der Badegast, eventuell noch mit einem kleinen Waschtuch bewaffnet, in den Waschbereich.

Das Nackte betone ich an dieser Stelle nur deshalb, weil ich einige westliche Onsenbesucher erlebt habe, die schon im Umkleidebereich das Handtuch schmissen und beschämt den Onsen verließen. Für den ein oder anderen mag es eben doch ungewohnt sein, sich unter Fremden komplett zu entkleiden. Wobei das eigentliche nackt sein gar nicht so sehr das Thema war, als vielmehr der Akt, sich vor den Augen der anderen zu entblößen. Ich denke gerade an die klassischen Einzelumkleiden in westlichen Schwimmbädern oder Saunen. Gemeinschaftsumkleiden sind dort selten – wohl nicht ohne Grund.  

Im Waschbereich finden sich auf Kniehöhe angebrachte Wasserhähne mit Duschvorrichtungen, also kleinen Handbrausen. Vor jeder Waschvorrichtung ein niedriger Hocker und eine Waschschüssel sowie eine Auswahl an Shampoos, Seifen und andere Haarpflegemittel. Das Gebot der Stunde ist damit, sich zu setzen und sich gründlich zu waschen. Wobei es sich an dieser Stelle nicht um eine Einladung handelt. Das gründliche Waschen ist ein Muss. Das Wasser im Onsen soll für jeden Badegast ein Genuss sein und es enthält in der Regel kein Desinfektionsmittel. Daher reinigt sich ein jeder im gemeinsamen Waschbereich so intensiv und für alle sichtbar, wie nur irgend möglich. Die badende Gemeinschaft darf durchaus sehen, dass man sich auch hinter den Ohren und zwischen den Zehen gründlich gereinigt hat. In vielen älteren oder kleineren Bädern sind die beschrieben Waschvorrichtungen auch einfach an einer Seite des Badebereichs angebracht. Waschen und Baden gehört eben einfach zusammen.

Dann endlich gleitet man ins heiße Wasser, in ein etwa knietiefes Becken, meist aus Stein oder Holz gefertigt, das ein oder andere Mal auch nur schnöde gefliest. Wie auch immer, aber so sitzend im heißen Wasser setzen in Sekunden innere Ruhe und Entspannung ein. Es ist einfach ein Genuss.

(Jojoen uchiburo – Yunokawa Onsen)

Die Leckerbissen der Onsen-Welt sind jedoch die Außenbecken (Rotenburo). Mitten in der Natur im heißen Wasser zu sitzen ist einfach unbeschreiblich, aber dazu kommen wir noch. 

In jedem Fall sind sowohl Onsen als auch Sento Orte für „Jedermann“. Zunächst einmal gibt es die heißen Bäder überall, in der Stadt, in ländlichen Regionen und auch mitten in der Pampa. Und auch das Publikum ist wild gemischt. Es kommt einfach jeder, ganz gleich ob jung oder alt, ob hochrangiger Manager, einfacher Angestellter oder Schüler, ob Supersportler oder mit körperlichen Einschränkungen unterschiedlichster Art. Das heiße Bad ist für jeden da. Eine Ausnahme gibt es vielleicht doch – tätowierte Menschen. Tätowierungen werden in Japan noch immer mit der Yakuza assoziiert. Entsprechend sind Tätowierungen an Orten des gemeinschaftlichen Nacktseins tatsächlich ein heikles Thema.

Ansonsten ist jeder willkommen, und ich würde auch behaupten, dass eigentlich jeder das heiße Bad liebt. Zumindest ist mir in Japan noch kaum jemand über den Weg gelaufen, der nicht gerne hin und wieder einen Onsen besucht. Dazu muss man aber sagen, dass der Besuch eines Onsen in Japan bisweilen wie ein soziales Happening verstanden werden kann, ganz so, als würde man gemeinsam in ein Museum, in ein Restaurant oder zu einer Sportveranstaltung gehen. Einmal ist mir vor einem Onsen eine Gruppe rüstiger Rentner über den Weg gelaufen, die ihr Schulabschlussjubiläum alljährlich in einem anderen Onsen feiern. Sie lachten, hatten sich extra sportlich gekleidet, mit Turnschuhen und Sportjacken und winkten mich heran, um mir irgendetwas wichtiges zu zeigen. Was das war? Jetzt bitte nicht lachen – aber einer nach dem anderen wies mich an, doch unbedingt an seinem unglaublich kräftigen Bizeps zu fühlen. Japanische Zurückhaltung sieht eben nicht überall gleich aus, aber diese japanischen Prachtburschen hatten ihren Spaß und sie waren stolz darauf, noch sichtlich gut in Form zu sein. Der Onsen! Der Onsen hätte sie jung gehalten und auch die gute Gesellschaft.

Erlebnis Onsen

Ein Bad zu betreten, bedeutet in Japan eine andere Welt zu betreten. Vom anstrengenden, oftmals hektischen öffentlichen Leben (wie auch immer dieses aussehen mag) in die Ruhe und die Privatsphäre, beim Sento von der oft anonymen Außenwelt in die Community der Badenden. Viele Aspekte tragen dazu bei, sich in einem heißen Bad wie in einer anderen Welt zu fühlen.

Die Ästhetik des Onsen

Wir bleiben hier beim Onsen, weil gerade dieser in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes, vielleicht auch spezielles visuelles Erlebnis ist. Denn in vielen Fällen trifft das Auge auf eine Melange an natürlichen Materialien – auf Holz, unbehauenen Granit oder Schiefer, von heißem Wasser und Dampfschwaden eingehüllt. Viele Wasserbecken sind aus Steinfließen oder aus unbehauenen Steinblöcken gesetzt. Das traditionellste Material für ein heißes Bad ist aber Holz. Holz begleitet den Badenden von der Dachkonstruktion bis zum eigentlichen Becken. Zum Einsatz kommt traditionell hinoki (Zedernholz), das relativ viel an schützendem ätherischem Öl enthält. Der angenehme Geruch von hinoki ist zumindest für japanische Nasen fest mit dem Bad verwoben.

Frisch geschlagenes hinoki hat einen warmen aber frischen Farbton – erinnert ein Wenig an Kindergartenstühle. Das durch Wasser und Dampf verwitterte Holz ist dagegen dunkel, fast schon schwarz. Entsprechend herrscht in älteren Badehäusern häufig eine recht dunkle, zumindest aber gedämpfte Atmosphäre. Die Fenster lassen zu Diskretionszwecken nur wenig Licht herein und das alte, vom Wasser umspielte Holz bildet den dunklen Rahmen der gedeckten Kulisse. Alte Badehäuser dieser Art wirken gemütlich und beruhigend. Dabei kann das Ambiente aber auch sehr einfach und rustikal sein. Für das westliche Empfinden mag das in manchen Fällen sogar „zu rustikal“ sein, wie ich mich an einen Dialog mit einer französischen Dame erinnern kann:  

  • This Onsen really needs some modernization measures.   
  • Do you think so? I assume it’s meant to be like this.
  • Really? But the wood all around is soaked in water – it’s almost rotten.
  • Yes, it is. But it’s beautiful, isn‘t it?

Die Dame hatte mich mit großen Augen angeschaut. Beautiful? Exotisch vielleicht, als traditionell vielleicht auch, aber als „schön“ empfand sie das Ambiente anscheinend nicht. Mit dem besagten westlichen Auge betrachtet, wirken viele Onsen in der Tat, als sein sie ein wenig aus der Zeit gefallen. Hochglanz ist das nicht. Doch in Japan erfreuen sich genau diese Häuser großer Beliebtheit. Das verwitterte Holz, die abgeplatzten Fließen, was für die einen der Renovierungsstau ist für die anderen der Inbegriff eines hochgeschätzten ästhetischen Prinzips: Wabi-Sabi, die Verehrung des natürlichen und des natürlich gealterten, die Patina des Lebens, wenn man es so sagen mag. (Einräumen muss ich aber natürlich doch, dass es vereinzelt auch wirklich sehr heruntergekommene Onsen gibt. Klar, man kann auch Pech haben und in einem Haus landen, wo die Besitzer irgendwie aufgegeben haben. Das ist dann wirklich shabby, aber das ist selten.) Mehr zu den ästhetischen Prinzipien in Japan in dem Artikel Kunst aus Japan ist – einfach – schön. Wie gesagt, man betritt eine andere Welt in einem Onsen, auch in ästhetischer Hinsicht, weitab von der heimischen weißen Plastikbadewanne.

Wie bereits erwähnt, die Stile von öffentlichen heißen Bädern können sehr unterschiedlich sein, von überaus rustikal bis modern, hell und luxuriös. Es gibt aber auch Etablissements, wo ich bezweifle, ob hier noch von einem Onsen die Rede sein kann z.B. wenn es sich um einfach, winzig kleine Hütten irgendwo im Nirgendwo handelt, mitten in den Feldern oder einfach am Waldesrand. Darin – winzige Wannen, in denen vielleicht 1-2 Personen Platz finden, mit einem ebenso winzigen Umkleidebereich.  Aber so ist es eben, das Wasser kommt aus dem Boden wo es will und der Mensch weiß dies zu nutzen. So let’s build this shack to be an onsen!

Aber zurück zu den Leckerbissen der Onsen-Welt, den Bädern mit Außenbereich (rentenburo). Häufig sind Onsen-Orte oder Hotels mit einem Onsen recht spektakulär in die Natur eingebettet, in den Bergen, in Bambuswäldern, an Flüssen oder mit Blick in anderweitiges wohlgestaltetes Grün. Hier werden tatsächlich alle Sinne verwöhnt, auch wenn das unglaublich abgedroschen klingt. Aber ein heißes Bad zu genießen und dann auch noch zuzusehen, wie sich die Dampfschwaden in den regenverhangenen Bambuswald ergießen, ist einfach spektakulär. Es ist einfach sinnlich, ob man will oder nicht. Noch besser – in eine bergige Schneelandschaft zu blicken, während man mit dem eigenen Hintern im heißen Wasser sitzt. Unglaublich! Auch Affen schätzen dieses Vergnügen. Die entsprechenden Bilder sind uns ja bekannt. Ist der Blick in die Natur einmal nicht ganz so spektakulär, wird nachgeholfen, indem in Sichthöhe des Beckens Gärten angelegt werden, die das Naturschauspiel mimen.

Auch großartig – ein Bad im rotenburo bei Nacht. Der Blick schweift durch die dunkle Natur, die nur spärlich von kniehohen Laternen (andons) beleuchtet wird. Dennoch wirken die Bäume im Schein der Laternen wie Schauspieler auf der Bühne. Im Herbst schimmern die belaubten Akteure in Gelb und Rot, von andons beleuchtet, selbst bei Nacht. In jedem Fall ist all dies wesentlich weniger gruselig, als bei Nacht im Meer zu schwimmen. Das muss ich tatsächlich zugeben.

Die große Gefühlswelt im Onsen

Bei genauerer Betrachtung wird die große allgemeine Beliebtheit der natürlichen heißen Quellen unter den Japanern vermutlich die unterschiedlichsten Gründe haben, auch sehr pragmatische, nehme ich an. Und doch würde ich behaupten, dass es einen „höheren“ gemeinsamen Nenner gibt: der Onsen ist in vielerlei Hinsicht ein magischer Ort, denn es ist der Ort, wo Körper und Natur eins werden. Das klingt schon wieder sehr pathetisch… aber so ist Japan eben… und es ist auch was dran.

Wer selbst schon einmal in einem zauberhaften rotenburo mit Blick in die Natur gesessen ist, dem werde ich nicht erklären müssen, wie erhebend dieses Erlebnis sein kann, ganz gleich welchen persönlichen Wert man der Natur nun beimisst. Aber die Sache geht noch weiter. Wer sich im Außen stattgesehen hat, versenkt sich voll und ganz in das beschriebene natürliche Material, auf dem man geht, sitzt, steht. Das vielzitierte Holz ist ein Material, das die Wärme gut speichert. Darauf zu sitzen bedeutet verbunden zu sein, geerdet zu sein mit der Natur. Manche besuchen alte Onsen speziell für dieses Erlebnis. Sie sind wahrhafte Konoisseure des Materials. Und über all diesen Eindrücken steht wohl die Erkenntnis, dass wir alle, von natürlichen Quellen gespeist, in der Hitze und manchmal auch im Gestank sitzen, den Mutter Erde Tag für Tag hervorbringt.

Wer all das nicht so sieht, spürt zumindest eines, das unbeschreibliche Gefühl der körperlichen Entspannung. Welche Wirkung das mineralhaltige Wasser auch immer haben mag, schon alleine das heiße Wasser löst die Muskulatur und sorgt für Entspannung bis in die tiefsten Fasern des Körpers.  

Auch wenn manche öffentlichen Bäder, wie beschrieben, eher alt und rustikal anmuten, so werden sie doch peinlich sauber gehalten. Man schreitet daher voller Vertrauen über die warmen Steinplatten oder über das gealterte Holz. So eingehüllt vom Dampf und von den Wassergeräuschen der anderen Gäste fühlt man sich nicht nur mit der Natur verbunden, sondern auch einfach aufgehoben, körperlich wie seelisch. Die Zeit darf intensiv erlebt werden im Onsen, die Ruhe, die körperliche Entspannung und die gefühlte Geborgenheit.  

Das Onsen-Erlebnis ist folglich ein ganzheitliches Erlebnis, das sogar etwas Spirituelles haben kann. Denn so wie es um die Reinigung des Körpers geht, so geht es im Grunde auch um die Reinigung von Seele und Geist. Vermutlich würden das wenige Japaner genau so formulieren. Aber zwischen den Zeilen…: meine Nachbarin in Kawanishi, einem Vorort von Osaka, hatte mir einmal erklärt, dass sie sich nach einem heißen Bad immer wie ein neuer Mensch fühle. Weshalb? Weil man im heißen Wasser alles abwaschen kann, auch die Ängste und die negativen Gefühle, die man den ganzen Tag mit sich herumgetragen hat. Das heiße Bad macht alles neu. Es macht dich wieder zu einem besseren Menschen. Ich denke, meine Nachbarin sprach vom heißen Bad an sich, gleich ob in der heimischen Wanne oder im Onsen. Nach diesem kleinen philosophischen Vortrag zwischen Türe und Angel zuckte sie nur mit den Schultern und sah mich an, als spräche sie über das Einfachste und Banalste der ganzen Welt. Ich musste darüber erst einmal nachdenken. Dieses tägliche kleine spirituelle „Luftholen“ mag vielleicht wirklich ein nicht unerheblicher Baustein sein, die Gesellschaft auf dem Pfad der Harmonie (wa) zu begleiten, dem vielbesungenen ewigen Ideal in Japan. Vielleicht gehört ja auch das zum Geschenk der Götter?

Zurück zum Anfang

Der Onsen und das Meer – worüber sich reichlich sinnieren lässt

Und so sitze ich am Heck unserer quasi, schaue auf das Meer und sinniere über heißes Wasser, Götter, Onsen und mehr. Das klingt seltsam und das ist es sicherlich auch. Aber ich hatte ja angekündigt, auf dieser Segelreise meinen Gedanken absolut freien Lauf zu lassen.

Also gut – Schwimmen im Meer und Baden im Onsen. Für mich sind das beides intensive und absolut großartige Erlebnisse im auf dem Wasser. Wobei in meinen Augen das Meer oder anders ausgedrückt die „offene See“ das glatte Gegenteil zu dem geschützten Raum des japanischen Bades darstellt. Das Meer verspricht andere Vorzüge, wenngleich das natürlich jeder völlig unterschiedlich empfinden mag.

Das Meer – die gefühlte große Freiheit

Für mich verspricht das Meer in erster Linie die gefühlte „große Freiheit“. Doch wie gesagt, es verspricht… das heißt nicht, dass alle Erlebnisse auf dem Meer dieses Versprechen auch einlösen. Ein Beispiel: wir lieben die einsamen Buchten, oder jene, in welchen sich nur ein paar wenige Boote wiegen. Sind wir Misanthropen oder suchen verzweifelt die Einsamkeit? Nein, ganz und gar nicht, aber auf dem Wasser lieben wir die Weite, die Ungestörtheit, die Eigenverantwortung und eben die Freiheit, ohne viele Nahbaren drum herum. Ist das verkehrt? Für mich nicht. Das Meer suggeriert doch Unendlichkeit. Umso lächerlicher kommt es mir vor, in einer Bucht mit 50 anderen Booten zu liegen. Der Nachbar im Onsen stört da weit weniger.

Doch zurück zur „offenen See“. Die Weite des Meeres, der sich ins unendliche ausdehnende Horizont, der sich dem menschlichen Auge irgendwann nur mehr als abstrakte Linie darstellt – mit der ebenso beeindruckenden Weite des Himmels darüber… ich würde sagen, das ist für den menschlichen Geist eine Dimension, die er kaum noch einordnen kann. Vielen bleibt da nur eines. In sich hineinhören, um irgendwie an das heranzukommen, wie sich diese Unendlichkeit wohl anfühlt: in der Regel gewaltig. Nicht umsonst ist der Ruf „Land in Sicht“ derart gefühlsbeladen und ikonisch. Meine kleinen „Land-in-Sicht-Gefühle“ habe ich persönlich schon nach 48-Stundenpassagen, aber ich bin eben auch kein großer, sondern nur ein kleiner Seemann.

Die Zona Magica – der Strand

Dennoch, die Faszination Wasser, für mich reicht sie vom Horizont bis an den Strand. Der Grenzbereich zwischen Wasser und Land ist eine flexible „Zona Magica“, über die man mit Sicherheit ganze Kapitel, wenn nicht gar Bücher schreiben kann. Ich persönlich liebe jene Strände, wo verschlungene Dünen von unterschiedlicher Höhe und Form die Landschaft zieren. Beim Anblick von weißen sanften Dünen komme ich auch nicht drum herum, mir ein Fläschchen kräftigen Nigori Sake (unfiltrierter Sake mit einem hohen Anteil von Reisteilchen) zu öffnen, um an dieser Stelle bereits auf das kommende Thema Segeln und Sake anzuspielen. Aber auch hier – ist es schlimm zu sagen, dass der Strand völlig menschenleer am schönsten ist?

Manchmal sitze ich aber auch an Bord und beobachte mit großer Faszination den belebten Strand. Auch das ist ein ganz und gar eigenes Wassererlebnis. Ich finde dafür allerdings keinen besseren Begriff als schlicht und einfach Badespaß. Badespaß in der Zona Magica, das ist dieses pulsierende Treiben, wo sich Kinder – und auch Erwachsene – mit Schwimmtieren und Luftmatratzen am Wasser wälzen, wo gelacht und gekreischt wird, wo es nach Kokosöl riecht und die Damen sehr darauf bedacht sind, dass der Bikini richtig sitzt. So viele Menschen scheinen genau das zu lieben, das bunte, quirlige und dicht gedrängte Zusammensein mit viel Sand zwischen den Zehen. Gott, sind wir froh, dass wir diesen Sand nicht an Bord haben. Manchmal kommt dieses Strandleben aber doch zu uns an Bord, etwa, wenn Kinder auf Tretboten an uns heranfahren und fragen, ob sie vom Boot aus ins Wasser springen können. Kein Problem, solange sie keinen Sand mitbringen… Bei diesem Thema sind wir auf der quasi so pedantisch wie im Onsen.  

Was das bunte Treiben am Strand betrifft, habe ich meine Lieblingsszene an der Costa Smeralda eingefangen. Dabei sitzen zwei italienische ältere Damen mit einem kleinen Mädchen von vielleicht 4 Jahren an der Wasserlinie im Sand und lassen sich die Brandung über die gebräunten Beine rollen. Die beiden Damen sind perfekt frisiert und geschminkt – und ich meine wirklich perfekt. Sie tragen Designerbadeanzüge, tolle Sonnenbrillen und reichlich Schmuck. Am Strand? Natürlich, das ist die Costa Smeralda. Damit ist alles prima, bis die Kleine einer der beiden Damen einen Kübel Wasser mit viel Sand einfach über den Kopf schüttet. Die Kleine lacht so laut, dass sich alle umliegenden Badegäste neugierig umsehen aber auch die zweite Dame lacht, als hätte sie gerade das beste Erlebnisse ihres Lebens. Die zupft in den nassen Haaren ihrer Kollegin herum und richtet dann demonstrativ die eigene gutsitzende Frisur zurecht. Es macht also überhaupt keinen Sinn, sich über Sinn oder Unsinn dieses verrückten Treibens Gedanken zu machen, denn es geht einfach nur um Spaß. Die Spiritualität des Strandes hat nichts mit Harmonie, Rustikalität, gedämpftem Licht oder Geborgenheit zu tun hat. Hier sonnt sich der Mensch im Lichte der Anderen und in der gleißend hellen Exponiertheit der Mittagssonne. Den Naturalisten unter den Strandbesuchern tue ich an dieser Stelle natürlich fürchterlich unrecht.

Entspannung im Wasser

Für Szenen wie jene mit den umwerfenden Damen habe ich wohl eine kleine Schwäche. Ich könnte Seite um Seite darauf verschwenden, die kleinen amüsanten Absurditäten des Lebens zu beschreiben. Was ich damit aber keinesfalls sagen will, ist, dass der Aufenthalt am Strand oder ganz besonders das Schwimmen im Meer nicht auch für Entspannung oder für ein meditatives Erleben der Welt stehen kann. Tatsächlich habe ich schon häufig wahrhaft meditative Schwimmer gesehen. Vielleicht hatte ich es noch nicht erwähnt, dass ich Halbgriechin bin. Meine Mutter ist gebürtig von der Insel Naxos. Zu Naxos gäbe es ebenfalls unendlich viel zu erzählen, auch Absurdes. Zu den angenehmsten Aspekten des Inselalltags gehört allerdings, dass viele Naxer zumindest einmal am Tag, häufig am späten Nachmittag, schwimmen. Entsprechend bewundere ich seit Kindertagen einen Herrn (ich meine, es war der örtliche Apotheker), der jeden Tag, sicherlich eine Stunde lang in ewig gleichem Rhythmus vor der Halbinsel mit dem berühmten Tor der Ariadne auf- und abschwamm. Er kraulte in einem so gleichmäßigen Rhythmus, dass ich bis heute kaum glauben kann, dass es sich um ein menschliches Wesen handelte, das da schwamm. Wasser, Körper, Bewegung und Atem korrespondierten im absoluten Einklang. Noch faszinierender – nach dieser körperlichen Leistung wirkte er niemals erschöpft oder angestrengt. Er wirkte entspannt, als hätten das Meer und die Bewegung im Meer seine Batterien wieder vollständig aufgeladen. Diese Art des wohligen Seins im Wasser mag sicherlich etwas mit Entspannung zu tun haben, kommt aber nicht umhin, dass hier jede Faser des Körpers gearbeitet hat. Der Gegensatz könnte nicht größer sein zum Bad im heißen, dampfenden Thermalwasser, das die Muskeln einfach nur verwöhnt und entspannt.

Schwimmen im offenen Meer

Ein wirklich besonderer Moment im Meer ist der, von Bord zu springen, wenn rings herum kein Land mehr zu sehen ist. Passieren kann dies auf längeren Passagen, wenn eine Flaute zu einem kleinen Badestopp einlädt. Naturgemäß springt man in solchen Momenten in ein „Etwas“, wo weder der Grund noch sonst etwas zu sehen ist. Man springt, ein wenig Sonne vorausgesetzt, in ein Blau, ein tiefes Blau, velvet Blue, Planentenblau. Das ist schon wirklich ein gewaltiger Eindruck, einer der mit dem „schönen Wasser“, also dem sichtbar unsichtbaren Wasser, nichts gemein hat. Zumindest könnte ich in solch einem Moment das Argument verstehen, dass einer nicht gerne im Meer schwimmt, weil es tief und damit unheimlich ist.

Als unheimlich empfinde ich das alles nicht aber doch als beeindruckend. Für mich sind das die Momente, wo Körper und Natur eins werden, wenngleich auf gänzlich andere Weise als im Onsen. Denn auch beim Sprung in die Weiten des Meeres dreht sich das körperliche Erleben nur mehr ums Blau: um das kalte, prickelnde Wasser auf der Haut, um den Herzschlag, der sich erst steigert und letztlich wieder beruhigt, um das Vertrauen in den Körper, sich irgendwie über Wasser zu halten, an der Oberfläche des tiefen Blaus. Die ersten Momente im Wasser beschränken sich folglich auf das Erleben des eigenen Körpers im „mächtigen Element“.

Wobei es dabei selten bleibt. Denn dieses physische Erleben regt nicht nur die Sinne an, nein, auch den Verstand. Dabei braucht es gar nicht so viel Phantasie, um sich der „Kleinheit“ des eigenen Seins gewahr zu werden. Der gedankliche Schwenk in die Vogelperspektive reicht da völlig aus. Die wahre Demut entfaltet sich jedoch erst bei dem Gedanken daran, was wohl in den hunderten bis tausenden von Metern unter der Wasseroberfläche geschieht (in den Ozeanen dieser Welt können es bis zu 8 Kilometer sein). Ich denke da an komplexe Ereignisse, etwa Strömungen oder die Gezeiten, an unvorstellbare Tiefen mit unterschiedlichen Wasserschichten von unterschiedlicher Helligkeit, Temperatur oder Wasserdichte. Aber natürlich denke ich auch an die unermessliche Anzahl von Kreaturen, kleinste bis riesige Wesen, die in dem komplexen und gleichermaßen sensiblen System leben, in dem auch ich mich gerade bewege.

Doch bei all diesen Überlegungen sprechen wir noch immer nur vom Mittelmeer. Sprächen wir von den Ozeanen dieser Welt, ginge es um ganz andere Dimensionen. So sind etwa 70% der Erde von Ozeanen bedeckt und 90% allen Lebens ereignet sich in diesen Gewässern. Auch das Fressen und gefressen werden gehört zu diesem Leben. Richard Hamblyn beschreibt dies in seinem Buch Das Meer sehr eindrücklich: es handelt sich um Tonnen an Plankton, die Nacht für Nacht gefressen werden. Das ist mehr Gewicht pro Nacht, als es Menschen auf der Erde gibt – einfach aufgefressen – jede Nacht. Hier unter Wasser dreht sich das Rad des ewigen Kreislaufs in einer ganz erheblichen Geschwindigkeit. Aber wie schon gesagt, die menschliche Vorstellungskraft ist meist überfordert, wenn es um diese Dimensionen von Wasser und Leben geht. 

Was der menschlichen Vorstellungskraft allerdings nicht verborgen bleibt, ist die Absurdität des eigenen Handelns, ist doch der Mensch das brutalste aller Wesen, einfach nur, weil er das das Zeug dazu hat, in ungeahnten Maßstäben zu zerstören. Habe ich dabei die Folgen des sich abschwächenden Golfstroms vor Augen oder das Mikroplastik in den Mägen der Seevögel? Es ist völlig egal. Nur langsam sollte der Mensch begreifen, wie sehr er auf das Wasser und alles Leben im Wasser eigentlich einwirkt.

Aber zurück zum Bad im offenen Meer. Für mich ist dieses Erlebnis auch deshalb so besonders, weil ich in diesen Momenten mehr denn je das Gefühl habe, mich in einem Medium zu bewegen, das eigentlich anderen Lebewesen vorbehalten ist. Zumindest empfinde ich das so. Ich bin ein Gast in dieser blauen Welt. Natürlich ist mir die umgangssprachliche These „alles Leben entstand einst im Meer“ bekannt. Kein Grund also, sich im Meer wie ein Gast zu fühlen…. Der Meinung war wohl auch „Mr. Aquaman“, ein Aussteiger, der viele Jahre auf der Insel Antiparos lebte. Er erklärte mir geduldig, dass er sich täglich mindestens sieben Stunden im Meer aufhielte. Dort gehöre er hin, denn das Meer sei ja schließlich der Ursprung allen Lebens und es hielte ihn jung und gesund. Wobei sich aus wissenschaftlicher Sicht wohl die These „alles Leben entstand einst im Wasser“ als korrekter ausnehmen würde. Nicht das salzige Meer als vielmehr geothermale Tümpel rund um Geysire und heiße Schlote (entstanden aus kondensiertem Dampf) hätten vor Millionen von Jahren den geeigneten chemischen Cocktail aufgewiesen, um die Bildung erster Zellen zu ermöglichen. Erst reichlich später landete die ganze Suppe im Meer. Flapsig gesprochen hätte das Leben somit seinen Ursprung weit mehr im Ur-Onsen genommen als im Ur-Meer.  

Wie auch immer, ich liebe das Meer, ich schwimme gerne im Meer, aber ich fühle mich nicht ganz so meeresverbunden wie Mr. Aquaman. Wie gesagt, ich fühle mich im Meer wie ein Gast, der sich auch wie ein solcher benehmen sollte. Im Onsen verhält es sich tatsächlich anderes. Dort fühlt es sich wirklich so an, als sei das Wasser für den Menschen gemacht. Und so sagen es ja auch die Götter – sie haben die heißen Quellen den Menschen zum Geschenk gemacht.

Folglich fühlt sich jeder anders im und auf dem Wasser, insbesondere im und auf dem Meer. Zumindest birgt es reichlich Potenzial, sich ein weniger besser kennenzulernen. So sah es wohl auch C.G Jung: das „Schöne und Große des Meeres liegt darin, daß wir hinabgezwungen werden in die furchtbaren Gründe der eigenen Seele“ – sei dies nun erschreckend oder erhellend. Das wäre dann doch anders als im Onsen.

Gemeinsam nackt im Onsen – vielleicht das Geheimnis für Harmonie und Entspannung in Japan

An dieser Stelle möchte ich gedanklich nochmals komplett zurück zum Onsen kommen. Zurück zu einer Besonderheit im japanische Wassererleben, die entsprechend hier im Text bereits angesprochen wurde: das besagte Erleben von „gemeinsam nackt“. Beide Aspekte, sowohl das „gemeinsam“ als auch das „nackt“ sind wichtig, um ein Onsen-Erlebnis treffend zu beschreiben.

Die Gemeinschaft im Onsen

Zunächst zum „gemeinsam“. In einen Onsen oder in ein Sento zu gehen, bedeutet immer, einen Raum zu betreten, der mit anderen geteilt wird. Entsprechend ist das gemeinsame Bad immer ein soziales Ereignis, auch dann, wenn man alleine kommt.

So ist es nichts Ungewöhnliches, dass manche Badegäste gleich in kleinen Gruppen auftauchen, etwa ältere Menschen, die häufig schon am frühen Vormittag das Bad aufsuchen. Ich erinnere mich auch noch an diverse Grüppchen von Schülerinnen, die hin und wieder gemeinsam einen Wellness-Tag einlegten. Oder es kommen ganze Familien. Das ist dann die Zeit, um die Klassiker des sozialen Onsen-Miteinanders zu beobachten: wenn Enkel den Großeltern den Rücken schrubben, Mütter oder Väter Kindern die Haare waschen oder auch mal die Zehennägel schneiden. Wenn Familien oder Gesellschaften in das Bad kommen, kann es tatsächlich etwas lauter werden, aber doch immer in einem rücksichtsvollen Ton.

Oder nehmen wir die bereits erwähnten Bizeps-Gurus, die rüstigen älteren Herren auf ihrem alljährlichen Onsen-Ausflug. Sie alle kommen, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Doch auch wer alleine in ein öffentliches Bad geht, erlebt das Miteinander. Die ständige Geräuschkulisse zeigt an, dass man nicht alleine ist. Die Duschköpfe brausen und plätschern, Holz- oder Plastikeimerchen werden geschäftig hin und hergerückt und das Gemurmel der Anderen liegt beruhigend in der Luft. Jeder Badegast ist eingehüllt in das Gefühl von Gemeinschaft. Wer es aber möchte, kann dennoch für sich sein.

In vielen kleineren Onsen, oft aber in den Sento, sind die Badegäste Stammgäste. Doch auch hier, selbst wenn das Personal die Gäste kennt, wird es nie mehr als eine höfliche, kurze Konversation über das Wetter oder das Badewasser anzetteln, um niemanden zu belästigen.

Damit kann jeder wählen zwischen Ruhe und innerer Einkehr in der Gemeinschaft oder eben aktiver Konversation. Für den, der es möchte, kann das Bad sogar wie ein gesellschaftlicher Salon fungieren, wo Ideen und Lebensweisheiten ausgetauscht werden, manchmal auch einfach nur Klatsch. Das scheinen wohl Badehäuser über alle Kulturen hinweg gemein zu haben. In jedem Fall kann das Bad ein wichtiger sozialer Knotenpunkt eines Stadtteils sein. Dies zeigt sich besonders dann, wenn ältere Menschen, die eigentlich täglich ihr Badehaus besuchen, plötzlich nicht auftauchen. Dann wird auch einmal nachgesehen, ob alles stimmt oder jemand Hilfe braucht.

Harmonie durch gegenseitige Rücksichtnahme im Onsen

Wa – Harmonie – das reibungslose Miteinander der Gesellschaft. Kann das in einem Bad mit vielen Menschen wirklich funktionieren? Wie gesagt, wenn größere Gruppen oder Familien ein öffentliches Bad nutzen, kann es für kurze Zeit schon einmal etwas lebhafter werden. Und doch wird es selten so laut oder schrill, dass es für andere Gäste ein Problem darstellt. Zumindest bemühen sich die Menschen darum. Nur in den Supersento, den sehr großen Badebetrieben, die ein Wenig wie westliche Erlebnisbäder anmuten, bin ich etwas über die Lautstärke gestolpert. Der Grund? Ich vermute, dass diese Betriebe aufgrund ihrer Größe doch weit mehr das Gefühl von Anonymität und weniger von Gemeinschaft vermitteln. Moderne Bäder haben da leider etwas verloren, zumindest in meinen Augen.    

Doch ansonsten ist das oberste Gebot, rücksichtsvoll und achtsam miteinander umzugehen. „Manchmal nerven Japaner, aber im Onsen haben sie es echt drauf, einem nicht auf den Sack zu gehen“. So oder so ähnlich hatte es einmal ein Bekannter von mir formuliert, der auch leidenschaftlich gerne Onsen besucht. Und in der Tat, neben den ganz normalen „Benimmregeln“ eines jeden Bades versucht einfach jeder zu antizipieren, was die anderen stören könnte. Man achtet aufeinander. Dazu gehört auch, die Intimsphäre der Anderen zu respektieren. Es ist ja schließlich jeder nackt. Dass diese Rücksichtnahme nicht jedem Badegast gegeben ist, musste einmal mein Mann erleben. Er war höchst erstaunt, als er auf seinem Waschschemel sitzend aufblickte. Der Herr neben ihm war durchaus gewillt, sich zu reinigen, jedoch nicht im Sitzen sondern im Stehen. Es muss wohl recht unangenehm gewesen sein, seinem Nachbarn aufs Gemächt schauen zu müssen. Und um nun das Rätsel zu lösen… nein, es war kein japanischer Badegast. Und genau diese Sensibilität meine ich, wenn es um gegenseitige Rücksichtnahme geht. Selbst die kleinsten unter den Badegästen werden so sozialisiert – im Sinne der Harmonie. Auch das ist einfach ein großartiges Geschenk, das das heiße Bad bereithält.

Nackt im Onsen

Doch zurück zum „gemeinsam nackt“. Ich will das Thema Nacktheit nicht überstrapazieren oder zu sehr aufblähen, aber ich würde behaupten, dass Gemeinschaft, Harmonie und Entspannung im heißen Bad auch mit genau diesem „gemeinsam nackt“ zusammenhängen. Denn im heißen Bad ist jeder gleich. Außerhalb des Bades mag die eine teure Schuhe tragen und ein Business-Kostüm, die andere hüllt sich in einen Yukata (sommerlicher einfacher „Leinenkimono“) mit hölzernen Sandalen. Aber im Bad gibt es weder Makeup noch textile Identitäten. Im Idealfall sind wir einfach nur Mensch und kümmern uns um uns selbst. Ich schreibe dies nun aus der weibliche Perspektive, aber für Männer gilt dies natürlich genauso. Jeder akzeptiert den Anderen in seiner Form und Weise, ohne Kommentar und Worte. Auch dies stiftet Gemeinschaft. Jeder ist gleich und man teilt diesen intimen Moment. Für dieses Miteinander und vor allen Dingen für die entsprechende Art des adäquaten Kommunizierens gibt es im Japanischen sogar einen Ausdruck: Hadaka no Tsukiai bedeutet nackte Kommunikation.

Was aber vor allen Dingen entspannt, ist die klitzekleine Einsicht, dass hier keiner mehr bewertet wird, weder nach dem was er beruflich tut, noch nach dem wie er sich kleidet noch nach seinem Körper. Im heißen Bad gibt es keinerlei Konkurrenzmodus. Vielleicht ist auch dieses Bewusstsein, dass die Hülle im Onsen am aller wenigsten zählt, ein Aspekt, der das Baden zu einem irgendwie spirituellen Erlebnis macht. In jedem Fall hilft diese Einsicht ganz besonders, um den Stress der täglichen Anstrengungen abzustreifen.

Ist nackt im Onsen dann nicht das gleiche wie nackt in der Sauna?

Nun könnte man natürlich gut und gerne den Vergleich zur Sauna ziehen. Ist das „Nacktsein“ im Onsen denn nicht das gleiche wie in der Sauna? In die Saune geht man doch auch zum Entspannen und nicht zur Fleischbeschau. Ja, in gewisser Weise kann man das vergleichen, aber am Ende doch nicht ganz. Ein Beispiel: eine Kollegin – sie geht gerne in die Sauna und ist auch keinesfalls prüde – kam zu mir ins Büro und erzählte amüsiert aber auch peinlich berührt, dass sie am Wochenende in der Sauna einen hochrangigen Kollegen unserer Firma getroffen hat. Einen sehr hochrangigen Kollegen. Ahhh, was für ein Ungemach, ausgerechnet den. Den hätte sie lieber nicht ohne Hosen gesehen. Und er sie….

Und schon sind wir beim Unterschied. Ich würde sagen, verglichen mit Japan gehen doch wesentlich weniger Menschen in Deutschland in die Sauna als Japaner in den Onsen (wobei ich einräumen muss, dass es auch in Japan Menschen gibt, die noch nie in einem öffentlichen Bad waren). Sitzen und Schwitzen ist eben einfach nicht jedermanns Sache. Entsprechend hat die nackte Toleranz in unseren Breiten dann doch ihre Grenzen. Um nicht jedem Nachbarn nackt in die Arme zu laufen, gehen viele gerade nicht in die nächstgelegene Sauna. In einem kleineren Ort in Japan, insbesondere einem Onsen-Ort, wäre es dagegen völlig normal, den Kollegen, den Bäcker von nebenan, die Verkäuferin aus dem Supermarkt, die Lehrerin oder den Vorgesetzten im Onsen oder im Sento zu treffen. Im lokalen Kontext ist es für Japaner daher relativ normal, ihre Mitmenschen auch ohne Kleidung zu kennen. Zumal es, wie gesagt, noch gar nicht so lange her ist, dass nicht jeder Haushalt eine eigene Waschgelegenheit hatte.

Doch Vorsicht! Der entspannte Umgang mit dem Nackten ist in Japan tatsächlich auf das Setting des heißen Bades beschränkt. Außerhalb dessen sollte man sich lieber bedeckt halten. Ergo, es gibt kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Nacktheit und im Umgang mit dem nackten Körper. Diese Einsicht ist ein Low-Brainer und uns allen bekannt. Und doch empfinde ich es in Japan als bemerkenswert. Das nackte Miteinander ist eine so wichtige Komponente im Wassererleben Japans, es ist sinnstiftend, entspannend, erholsam und am Ende doch ganz und gar besonders.

Fortsetzung folgt…


Sake auf See: das Sake-Bucht Pairing

Sake, das Getränk der Götter aus Wasser und Reis – der Rest… ist Biologie.

Seit meiner ersten Reise nach Japan liebe ich Sake, habe zahlreiche Brauereien besucht und in Japan wirklich unfassbar exquisite Tropfen probiert. Leider ist in Europa nur ein Bruchteil dieser Auswahl erhältlich. Viele Sakebrauereien exportieren nicht, da sie aufgrund der langen Transportwege befürchten, dass die Kühlkette oder andere stabilisierende Bedingungen nicht eingehalten werden und so der Kunde kein absolut einwandfreies Produkt mehr erhält. Bevor die Qualität des Produktes leidet, wird lieber erst gar nicht exportiert. So ist Japan eben. Und so liebe ich es.

Also muss auch ich mich außerhalb Japans mit dem begnügen, was die Importeure eben so auftreiben. Und das schleppe ich dann auf unsere quasi, wo der Sake zwar gekühlt, aber sicherlich nochmals kräftig im Seegang durchgeschüttelt wird. Muss das denn sein?

Ja, es muss sein. Ich brauche meinen Sake an Bord, denn ich genieße es sehr, auf dem Wasser, in der Natur, in unterschiedlichen Farben und Stimmungen den passenden Sake zu trinken. Sake-Bucht Pairings… klingt nach einem Experiment, aber warum nicht, gerade habe ich doch Zeit.

Zudem versuche ich gerade, alle in Deutschland erhältlichen Sparkling Sakes zu probieren. Es könnte demnach prickelnd werden auf der quasi.

Sake auf See: der Sasanigori Shirakawago und die Cala Mondrago auf Mallorca

Ich liebe Buchten, die von hellen Dünen eingefasst sind, von weichen Sandformationen, die sich irgendwie fließend am Meer entlangschlängeln, die aber am Ende der Wind geformt hat. Von oben betrachtet – ein weiches, fließendes, weißes Mandala.

In Buchten dieser Art reizt es mich oft, eine Flasche Nigori Sake zu öffnen. Nigori Sake ist ein weißlich trüber Sake, da ein hoher Anteil an Reisteilchen nach der Gärung nicht herausgefiltert, sondern im Sake belassen wird.  Warum Nigori Sake in dünigen Buchten? Einfach nur, weil weißer Sake zu weißen Dünen passt?

Nicht ganz. Aber tatsächlich haben viele Nigori Sake schon aufgrund der Reisteilchen eine „cremig“ wirkende Textur, die Aromen reichen häufig von zitronig bis sahnig, sind schwungvoll aber im Grunde doch mild und gut balanciert.

Auf Formentera, in der Bucht Badia de s’Alga hatte ich eben wieder diese Eingebung. Also öffnete ich mir eine Flasche Shirakawago Nigori… und, sie hatte einfach überhaupt nicht zu dieser Bucht gepasst.

Vor mir, wunderschöne Dünen mit einer seichten Sandbrücke, die die kleine Insel s’Espalmador mit Formentera verbindet. Der kniehohe Strandhafer sah aus, als wäre es gerade in perfekter Gleichmäßigkeit geschnitten worden – türkiesblaues seichtes Wasser – im Sonnenuntergang flogen einige Möwen über die weißen Dünen oder stolzierten am Strand entlang. Die Szene: ruhig, verspielt, lieblich.

Der Sasanigori Shirakwawgo war all das aber eben nicht. Dieser Sake ist einfach deutlich weniger cremig und verspielt als erwartet hatte. Ich würde ihn eher als geradlinig bis trocken beschreiben (für einen Nigori Sake). Natürlich ist der Geschmack von Reis sehr ausgeprägt, auch Zitrone ist da, Laktose und Säure. Ich schmecke hier aber kaum cremig-fruchtige Noten, eher den herben Geschmack von Zeder mit guter Säure. Zu diesem Sasanigori passen keine lieblichen Dünen. Er braucht zwar hellen Strand, aber mit Bäumen, hohen Bäumen, mit Gestein und starken Farben. Ich habe es mit dem Nigori Sake aus Shirakawago nochmals in dieser Bucht, der Cala Mondrago an der Ostküste Mallorcas versucht. Viel besser. Sehen Sie selbst. 

Und noch eines hatte mich bei diesem Sake-Beach Pairing bestärkt: mein olfaktorischer Morgenspaziergang. Leider ist das Frühjahr 2023 auf Mallorca sehr verregnet. Ein Vormittag bleibt dann doch trocken, also paddle ich auf dem SUP an den Strand. Noch ist wenig los und ich laufe barfuß den schmalen Spazierweg durch den Wald an der Küste entlang. Es riecht nach nassem Boden und vor allen Dingen nach nassen Bäumen. Es riecht wie in Japan – nach Zeder (sugi) – wie ein Spaziergang zu einem Tempel im Wald in der Regenzeit. Das ist es! Der Sasanigori Shirakawago passt hierher – einfach perfekt, aber man muss eben auch an Land gewesen sein. 

Sake auf See: der Dassai Sparkling 45 im Hafen von Denia / Costa del Sol

Der Dassai 45 ist ein sparkling Sake, also ein Sake mit Kohlensäure. Beim Thema Sparkling Sake ist eines der gröbsten Unterscheidungsmerkmale, ob dem Sake die Kohlensäure nach dem eigentlichen Brauprozess, also nachträglich zugesetzt wird, oder, ob die Kohlensäure über die natürliche Gärung im Sake verbleibt. Bei diesem Dassai Sparkling 45 ist die Kohlensäure das Resultat einer Flaschengärung, also einer zweiten Gärung nach dem eigentlichen Brauprozess. Die Zahl 45 steht für die Polierrate des Reises, die besagt, dass hier 55% des Reises abgeschliffen wurden, somit fast nur mehr der innerste Stärkekern des Reiskorns in den Brauprozess gelangt. Grundsätzlich gesprochen ist eine hohe Polierrate des Reises ein Indiz für einen hochwertigen Sake, also für ein Premiumprodukt, was aber noch nicht bedeuten muss, dass dies auch geschmacklich jeden anspricht.  

Für meinen Geschmack ist der Dassai Sparkling 45 durchaus üppig. Da gibt es Aromen von Nüssen, Laktose, Ananas und getrockneter Banane. Eine feine Säure zieht den Sake über die gesamte Zunge. Auch der Reis ist präsent, nicht zuletzt aufgrund des ordentlichen Anteils von Reisteilchen, die im Sake verblieben sind. Reis und Laktose sorgen für eine runde, natürliche Süße. Darüber liegt der Geschmack von cremiger Sahne. Das Ganze erinnert ein kleinwenig an Pina Colada. Die Perlage des Dassai 45 ist nun nicht unbedingt super-spritzig, eher gemächlich aber durchaus angenehm, zumindest, wenn er frisch geöffnet wird.

Für mich passt dieser Sparkling Sake zu einem reichhaltigen Frühstück, zu Porridge, buttrigen Croissants mit Marmelade oder auch Hefegebäck und zu cremigem Rührei. Spannend ist, dass er aber auch gut mit würzigem spanischem Schinken funktioniert oder einfach zu klassischen gesalzenen Kartoffelchips.

Die Flasche Dassai Sparkling 45 hatte ich mir 2023 am Ostermontag geöffnet, aber nicht in einer schönen Bucht oder vor einem prächtigen einsamen Strand. Ehrlich gesagt, mir war danach in der Stadt, im Hafen von Denia an der Costa del Sol. Die Assoziation mit dem großen, üppigen Osterfrühstück hat mich tatsächlich eher in die Bäckereien und Märkte der Stadt Denia gezogen, als in die Natur. Auch war mir einfach danach, die Farben und die Palmen an Land zu genießen. Nach dem Landgang, ein Fläschchen Dassai am Bug unserer quasi mit Blick auf die Stadt.    

Es war ein großartiger Ostermontag, mit einem guten Buch (The Roads to Sata) und einer Packung Sakura arare, die mir meine Gastschwester direkt aus Japan geschickt hatte. Die waren leider etwas zu dezent für den üppigen Sake. Kräftige Osembe hätten besser gepasst. Aber es war ein wunderbarer Tag. Der Dassai Sparkling 45 ist damit meine aktuelle Osterempfehlung für sonnige, spanische Tage.

Sake auf See: der Chiyonosono Rock and Good an der Westküste von Korsikas

Rock and Good – klingt in meinen Ohren ziemlich gut – hat aber nichts mit Rock, Rock’n Roll oder sonstigen musikalischen Momenten zu tun. Dafür funktioniert er besonders gut on the rocks, und das ist nicht jedem Sake gegeben. Genauer gesagt funktioniert es beim Chiyonosono Rock and Good deshalb, weil er ein Genshu Sake ist, ein Sake der nach dem Brauprozess nicht mehr mit Wasser verdünnt wird (was sonst ein normaler Vorgang ist), sondern weitestgehend unverdünnt direkt abgefüllt wird. In dieser Flasche stecken also massive und starke Aromen, so stark, das auch ein paar Eiswürfel den Sake nicht verwässern. Im Gegenteil, etwa Eis bekommt dem Chiyonosono sogar recht gut. Sollten Sie einmal versuchen, einen trockenen und leichten Sake auf Eis zu genießen, werden Sie vermutlich mit dem Ergebnis nicht ganz glücklich sein.

Zurück zum Chiyonosono Rock and Good. Ohne Eis springen die Aromen des Chiyonosono förmlich aus dem Glas: schwarze Schokolade, Ananas, reife Kaki, viel Umami und Reis, dazu eine feine Säure und spürbare Adstringenz. Klingt seltsam – aber er ist fruchtig und trocken zugleich. Unverdünnt ist das ein wirklich robuster Sake. Der Alkoholgehalt liegt dann bei 18%, also etwa höher als bei „normalem“ verdünntem Sake.

Und offen gestanden, an der Westküste Korsikas, an einem Ankerplatz eingefasst von Felsen, Farben, glattem Wasser und dem grandiosen Sonnenuntergang, habe ich eben diesen Genshu auch pur genossen. Ich würde sagen, dass uns diese Bucht eine der intensivsten Stimmungen unserer Reise beschert hat, also brauchte es ein intensives Aromenerlebnis.  

On the rocks ist der Chiyonosono für jeden erfüllenden Moment zu gebrauchen. Warum also nicht einfach mal in der Abendsonne sitzen und den Songtext von Nick Caves Higgs Bosson Blues aufschreiben – ein langer Song, der durchaus einen Sake on the rocks verträgt…   

… Can’t remember anything at all, Flamed trees lie in the street, Can’t remember anything at all, But I’m driving my car down to Geneva….


Tee auf See

Es gibt Momente auf dem Meer, die verlangen einfach nicht nach Sake, die gelangen nach Tee.

Verglichen mit Sake, einem Produkt das einen aufwendigen von Menschenhand gesteuerten biologischen und mechanischen Prozess durchlaufen hat, ist Tee ein relativ simples Getränk. Natürlich erfordert der Anbau von Tee große Sorgfalt und Können, natürlich steht am Ende der Teeproduktion ebenfalls ein Prozess der Veredelung, der Verarbeitung, der Fermentation und der Trocknung. Aber es bleibt am Ende beim Teeblatt, das mit Wasser aufgebrüht wird. Tee ist ein einfaches, natürliches, meist gesundes Getränk. Und manchmal bedarf es in einer Bucht eben eines einfachen, natürlichen Getränks, sei es kalt oder warm.

Tee auf See: Sencha aus Uji in der Cala Castell auf Mallorca

Der Norden Mallorcas ist felsiger, zerklüfteter und irgendwie wilder als der Süden der Insel. Von Wasser kommend ist der Norden Mallorcas ein großer Genuss, denn viele Buchten ähneln Fjorden, grün und schroff, als wären die Balearen plötzlich weit weg.

In der Cala Castell, an der Nordwestküste Mallorcas, fühlte ich mich ziemlich weit weg on allem touristischen Trubel. Denn diese Cala mit ihren schroffen Felsen und dem sanften grünen Bewuchs erinnerte weither an einen Gebirgszug im hohen Gebirge, als an den Süden. Ich kam mir so vor, als wanderte ich durch die Berge der Schweiz, als schämmen wir in einem Gebirgssee.

Diese Szenerie verlangte nach grünem Tee, einem milden, nicht zu kräftigen oder zu süßlichen Tee.

Der für mich passendste Tee in diesem Moment, ein milder Sencha aus dem Anbaugebiet Uji nahe Kyoto. Kein übertrieben hochwertiger grüner Tee, kein zu herber oder malziger Tee, einfach ein schmeichelnder, milder, harmonischer Tee mit ohne besondere Ecken und kanten. Dazu – die Philosophie des Meeres, aber das ist überall auf dem Meer ein gutes Buch.

Fortsetzung folgt…


Die Farben Japans und auch die Farben auf See: Blau und Weiß

Hier noch ein anderes Segeltagebuch von feisten Seglern, die sich mit ihrem Katamaran, der Moana, durch die Wellen schlagen.


Quellen zu einzelnen Themen

Bruce Smith, Yoshiko Mamamoto, The Japanese Bath, Gibbs Smith Publishing, 2001 / Richard Hamblyn, Das Meer, Knesebeck GmbH & Co Verlag, München, 2022


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Hier informiere ich auch immer, wenn es im Segeltagebuch etwas Neues gibt.

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