Manche Menschen wissen um ihre Berufung oder Bestimmung schon in jungen Jahren. „Bestimmung“ – gut, das ist wirklich ein großes Wort. Vielleicht sagen wir besser, sie wissen einfach, was sie tun wollen, was sie glücklich und zufrieden macht und sie setzen diese „Ziele“ auch in die Tat um. David Hockney etwa sagt von sich selbst, er hätte schon im Alter von 11 Jahren gewusst, wer er sei und wer er einmal werden wolle. Er wüsste auch nicht, woher er diese Selbstgewissheit nahm, aber es sei genau so gewesen. Wieder andere scheinen ihre Bestimmung nie zu finden, sie scheinen nicht einmal zu wissen, was ihnen guttut, geschweige denn, was sie zu zufrieden Menschen macht.

Ikigai – der Sinn des Lebens aus japanischer Sicht

Japan ist dafür bekannt, dass dieses Phänomen der Orientierungslosigkeit oder gar schwelenden Unzufriedenheit deutlich weniger verbreitet ist, als es in vielen anderen Ländern der Fall ist. Die Suche nach dem Sinn des Lebens und der damit verbundenen persönlichen Zufriedenheit scheint vielen Japanern sogar mühelos zu gelingen. Suche? Welche suchen? Dass die Zufriedenheit nirgends anders zu finden ist als in sich selbst, der eigenen Haltung zum Leben und den selbst gesetzten Prioritäten, das weiß in Japan jedes Kind. Klar – das ist jetzt alles überzeichnet und vereinfacht dargestellt – doch Japan scheint den „Schlüssel zum Lebensglück“ gefunden zu haben: Ikigai.

Ikigai bedeutet so viel wie „das, wofür es sich zu leben lohnt“ oder „das, was das Leben lebenswert macht“. Entsprechend hat jeder Mensch ein anderes Ikigai. Aber Ikigai hat nicht zwingend etwas mit beruflichem Erfolg, Karriere oder viel Geld zu tun. Erfolg kann daraus resultieren, wie etwa bei Jiro Ono, dem aktuell ältesten Sternekoch Japans, der mit großer Leidenschaft für seine Aufgabe das „beste“ und namhafteste Sushi-Restaurant (Shukiyabashi Jiro) aufgebaut hat. In erster Linie zielt Ikigai darauf ab, Dinge zu tun oder ein Lebensmodell zu leben, in dem sich der Mensch voll und ganz auf etwas einlässt, daran Freude empfindet und Wertigkeit in seinem Wirken sieht, nicht nur für sich, sondern insbesondere für andere. Der Gärtner (einer von vielen), der sich um den Park des kaiserlichen Palastes in Tokyo kümmert, selbst wenn er nur für das beseitigen des Laubes zuständig ist, kann darin sein Ikigai finden und sich voll und ganz dieser Aufgabe verschreiben, ebenso wie der Rentner, der am Eingang des Himeji Schlosses mit großer Würde und Freundlichkeit Plastiktüten verteilt, in welchen die Besucher ihre Schuhe durch das Schloss transportieren (auf dem Besuchergang ist das Tragen von Schuhen nicht gestattet). Kann das nun der Sinn des Lebens sein, Tüten zu verteilen? Das ist die falsche Frage. Es geht nicht darum, die Aufgabe selbst zu bewerten. Es geht darum, zu erkennen, mit welcher Hingabe derjenige an die Sache herangeht, mit welcher „Liebe“, denn es ist eben diese Hingabe, die glücklich macht.

Die gesamte Philosophie hinter Ikigai ist sicher nicht einfach zu erklären und ich will es an dieser Stelle auch gar nicht erst versuchen. Es gibt viele großartige Bücher zum Thema Ikigai, etwa das von Ken Mogi. Ich möchte hier lediglich ein einzelnes aber wichtiges Prinzip von Ikigai hervorheben. Mir geht es um Kodawari.  

Kodawari – sich anstrengen für mehr Lebensglück

Kodawari beschreibt einen Wert oder eine Haltung, die durch Sozialisation und Erziehung im kollektiven Bewusstsein Japans verankert ist, zumindest bei einem großen Teil der Gesellschaft. Dabei geht es um den inneren Antrieb, sich außergewöhnlich zu engagieren, Beharrlichkeit an den Tag zu legen und nach Perfektion und Einzigartigkeit zu streben. Mit Kodawari geht auch die Leidenschaft einher, sich jedem Detail zu widmen, wählerisch zu sein und sich mit nichts halbherzig zufrieden zu geben. Ken Mogi schreibt in seinem Buch Ikigai: „Kodawari ist ein persönlicher Standard, den jeder und jede Einzelne unerschütterlich einhält. Meist wird das Wort als Bezeichnung für ein bestimmtes Niveau der Qualität oder Professionalität verwendet, das die Einzelnen halten“. Und dieser Standard wird erneut mit großer Hingabe und Freude eingehalten. Laut Ken Mogi mag Steve Jobs ein prominentes Beispiel für diese Haltung gewesen sein (auch wenn er es selbst so nie formuliert hätte), aber sie gilt auch für Obstbauern, Ramenköche, Handwerker, Künstler oder eben Rentner. Jeder Einzelne darf zurecht stolz darauf sein, was er durch sein persönliches Kodawari erreicht. Kodawari gilt somit als nationaler Wertekanon aber auch als Schlüssel zum individuellen Lebensglück!

Kodawari no ippin – die Spezialität des Hauses

Und nun zu Kodawari no ippin – ein stehender Begriff in Japan der mich fasziniert. Restaurants in Japan bieten häufig ein kodawari no ippin an. Es handelt sich dabei um eine Spezialität des Hauses, auf die die Betreiber in höchstem Maße stolz sind. Mal werden diese Gerichte mit ganz besonderen Zutat zubereitet, mal handelt es sich um sehr regionale oder traditionelle Gerichte, oder etwas sehr Saisonales.

In jeden Fall handelt es sich um etwas, was es nicht überall oder immer gibt. Und es ist eine Speise, die das Restaurant perfektioniert hat und der Gast etwas außergewöhnlich Gutes erwarten darf. Es wird sicherlich mit großer Hingabe zubereitet sein, um dem Gast ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Die Kombination von westlicher und japanischer Kunst – das Kodawari no ippin von Kunst aus Japan

Auch Kunst aus Japan hat ein Kodawari no ippin – eine Spezialität des Hauses, wenn auch kein tatsächliches „Spezialgericht“. Sie kennen die Seite Kunst aus Japan? Dann wissen Sie vielleicht, was mein größtes Anliegen ist: zu zeigen, wie wunderbar japanische Kunst auch in westlichen Räumen wirkt. Und dazu kombiniere ich mit großer Leidenschaft westliche mit japanischer Kunst. Bei mir hängt ein Druck von Watanabe Seitei neben alter schwäbischer Wachskunst.

Kenichi Yokonos Holzdruckplatten neben modernen Farbholzschnitten sowie japanischen alten Briefmarken .

Oder japanische Kalligraphie neben alten gerahmten Liebensbriefen.

Die Kombination von Modernem und Altem, von westlicher mit japanischer Kunst, von Farben und Materialien ist mein Kodawari no ippin, mein „Gericht mit speziellen Zutaten“, welches es sicherlich kein zweites Mal so gibt. Mein ganz persönliches Ikigai besteht darin, in Japan und gerne auf der ganzen Welt Schätze aufzuspüren, diese zu kombinieren oder sagen wir gerne – mit Hingabe zu kuratieren. Wenn ich eine bestimmte Kombination vor meinem inneren Auge sehe, jage ich so lange nach den Ingredienzien, bis das Ergebnis für mich passt.

Und ich hoffe zumindest, Ihnen damit ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

By the way, ich liebe es, zu kombinieren, z.B. Ukiyo-e, japanische Farbholzschnitte mit dem passenden Sake in meinen Ukiyo-e Sake Pairings oder in meinen MiyabiBoxen. Mehr zu diesen Spezialgerichten in meinen Artikeln Sake und Ukiyo-e, Ukiyo-e Sake Pairing: Welches Sake passt zu Utagawa Kunisada oder MiyabiBox – schenken Sie die Kunst aus Japan Surprise Box.

Am Ende ist alles Inspiration.


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